Seelenrächer
gefürchtet, das gebe ich auch ganz offen zu. Ich kenne Quinn und Doyle schon sehr lange. Quinn ist nie damit zurechtgekommen, dass Eva und ich uns nahestanden. Und er hat stets versucht, mich ein Stück weit aus ihrem Herzen zu verdrängen. Als wir noch Kinder waren, trug sie immer eine Kette, die ich ihr geschenkt hatte.« Für ein, zwei Sekunden hielt er inne und kniff dabei die Augen leicht zusammen. »Während meiner Verhandlung hat sie diese Kette wieder getragen«, fuhr er etwas leiser fort. »Obwohl sie mit Quinn verheiratet ist, ließ sie nichts auf mich kommen. Vielmehr vertrat sie die Meinung, dass ich niemals dazu fähig gewesen wäre, Mary Harrington zu entführen.« Wieder lächelte er. »Wie auch immer, ich wollte euch das nur wissen lassen, damit ihr den größeren Zusammenhang ein wenig besser versteht. Mir sind in meinem Leben schon viele Dinge vorgeworfen worden – und nichts davon war sehr erfreulich.«
Er schwieg eine Weile. Auch die anderen sagten nichts, sondern ließen seine Worte erst einmal nachwirken. Schließlich beugte er sich vor. »Ihr wart alle sehr nett zu mir. Nein, mehr als nur nett. Ihr wart viel freundlicher und herzlicher, als ich das bis dahin kannte. Das soll jetzt nicht nach Selbstmitleid klingen, aber ich habe mein Leben größtenteils ohne Familie verbracht, und viele Freunde hatte ich auch nie.«
»Nun hast du beides, Conor«, stellte Kinsella fest.
»Dafür«, antwortete Maggs, »möchte ich euch danken. Ich möchte, dass ihr wisst, wie viel mir das bedeutet. Auch die Tatsache, dass ich heute diese Versammlung einberufen konnte, bedeutet mir sehr viel. Denn im Gegensatz zu ihrem Onkel und ihrem Mann hat Eva sich immer Zeit für mich genommen.« Plötzlich zitterte seine Stimme. Er wartete einen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte. »Sie ist eine der liebsten Seelen, die Gott je auf die Erde gesandt hat, und ich glaube, dass die Kraft unserer Gebete ihn darin bestärken wird, sie zu beschützen.«
Dienstag, 2. September, 19:15 Uhr
Jimmy saß an der Bushaltestelle und beobachtete, wie der Wind allerlei Müll die Straße entlangwehte. Er befand sich jenseits der Bowling-Rasenfläche an der Kreuzung, wo die Terenure Road in Harold’s Cross mündete. Einer der Polizeibeamten hatte ihm geraten, zur Nordseite der Liffey hinaufzufahren und von der Amiens Street aus den Bus nach Kerry zu nehmen. Er war stinksauer: Erst schleppten sie ihn den ganzen Weg von der Westküste hier herauf, und dann schmissen sie ihm ein paar Euro hin und forderten ihn auf, Leine zu ziehen. Seine Kamera hatten sie einbehalten – ebenso wie die Schachtel mit den Fotos. Alle Aufnahmen, die er jemals gemacht hatte, waren in dieser Schachtel.
Während er an seine Sachen dachte, zog er so heftig an seiner Zigarette, dass seine Wangen sich beinahe in der Mitte trafen. Er musste auch an seinen Vater denken, der den Polizisten gegenüber behauptet hatte, er sei am Sonntag nicht zu Hause gewesen.
Dem Mistkerl würde er was erzählen, wenn er zurückkam. Die Leute vom Sozialdienst mochten es gar nicht, wenn er ohne Aufsicht war. Nun aber saß er schon den ganzen Nachmittag allein zu Hause.
Zum Teufel mit ihm, dachte Jimmy. Geschieht ihm recht. Es gab keine Versammlung der Seelen. Der Alte sah in seiner Küche keine Toten, er sah nur, was seine zerstörte Leber ihm vorgaukelte: Halluzinationen – von der Sorte, wie sie sich einstellten, wenn ein so schlechtes Gewissen wie das seine sich mit flaschenweise purem Gin vermischte. Jimmy wusste genau, was sein Vater allen erzählte: dass er seit dem Tod seiner Frau keinen Tropfen Alkohol mehr anrühre. Aber das war alles Bockmist, er war noch derselbe alte Trunkenbold wie eh und je.
Wahrscheinlich hatte der Sozialdienst jemanden vorbeigeschickt, um sicherzustellen, dass es ihm gut ging. Bestimmt hatte McCafferty dort angerufen und Bescheid gesagt, dass die Polizei seinen Sohn mitgenommen habe und der alte Narr allein zu Hause sitze. Vielleicht hatten sie die Slowakin angerufen, die eigentlich hin und wieder bei ihnen putzen sollte, und sie gebeten, vorbeizuschauen und dem Alten eine Kleinigkeit zu kochen. Jimmy konnte fast sein Gemurmel hören. Er sah ihn vor sich, wie er in seinem Sessel thronte – mit seinem roten Gesicht, seiner Knollennase und den vielen geplatzten Äderchen, die mit jedem Tropfen, den er soff, deutlicher hervortraten.
Von dem Bus war weit und breit nichts zu sehen. Mit einem Blick auf seine Armbanduhr warf Jimmy die Zigarette
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