Seelenrächer
Geschichte. Jane Finucane hielt Maggs’ Hand, und auf der anderen Straßenseite lehnte Doyle an der Wand und starrte flussaufwärts.
»Nur ein paar kurze Worte noch«, verkündete Maggs gerade. »Das alles hat seinen Tribut gefordert, und ich möchte jetzt nur noch nach vorne schauen – und zwar so schnell wie möglich. Mein Leben hat sich verändert. Nichts ist mehr, wie es war. Was ich euch sagen möchte, ist Folgendes: Egal, wer ihr seid, und auch wenn ihr gerade in fürchterlichen Schwierigkeiten steckt, denkt immer daran, dass gleich um die Ecke ein Moment des Triumphes auf euch wartet. Ich hatte mit Marys Tod nichts zu tun, aber die Polizei hatte mich schon vor langer Zeit ins Visier genommen. Eigentlich sollte ich sie verklagen. Eigentlich sollte ich mir jeden Penny erstreiten, den ich von ihnen kriegen kann. Genau das rät mir mein Anwalt. Doch in jener Nacht in der Zelle ist der Herr selbst zu mir gekommen, und sein Leiden war viel schlimmer als alles, was ich durchgemacht hatte. Christus suchte keine Rache. Stattdessen spendete er seinen Feinden Trost. Er vergab ihnen.«
Maggs brach ab. Sein Blick schweifte die Straße entlang bis zu Doyle, der sich inzwischen umgedreht hatte und ihn beobachtete. »Ich möchte euch sagen, dass Gott lebendig und mitten unter uns ist. Ich weiß das, weil ich ihn mit eigenen Augen gesehen habe. Ich trage niemandem etwas nach und fordere keine Vergeltung. Ich vergebe Sergeant Doyle, was er mir angetan hat. Ich vergebe der Garda Síochána – einer Polizei, die vielleicht irregeleitet, aber nicht moralisch verderbt ist.«
Er umklammerte Janes Hand. »Diese Frau hat an mich geglaubt. Als ich ganz unten war, kam sie zu mir, und nun sind wir zusammen. Wir verlassen Irland. Wir wollen in London ein neues Leben beginnen. Meine Geschichte ist eine Heilsgeschichte, und ich habe nur noch den Wunsch, davon berichten zu können. Vielen Dank. Das ist alles.«
Nachdem Maggs geendet hatte, strömte die Meute der Reporter und Kameraleute zu Doyle hinüber. Er stand immer noch mit verschränkten Armen an derselben Stelle und starrte Maggs an. Dann wechselte er einen raschen Blick mit Quinn.
Zu den Reportern sagte er nichts, ihre Fragen ignorierte er einfach. Quinn beobachtete, wie er sich in Bewegung setzte und auf die O’Donovan Bridge zusteuerte, weg von den Kameras. Er hatte seinen Wagen auf der anderen Seite des Flusses stehen lassen. Zweifellos wollte er auf ein paar ruhige Bierchen ins Jocky O’Connell’s an der Richmond Street. Quinn sah Maggs und Jane Finucane in einen Wagen steigen. Er sah Molly Parkinson mit bitterer Miene auf die Straße treten. Und er sah seine Frau einen Blick in seine Richtung werfen, ehe sie den Kopf einzog und zu der Ecke eilte, wo ein Taxi auf sie wartete.
Während Quinn mit den Händen in den Hosentaschen den Bürobereich der Detectives durchquerte, erschien vor seinem geistigen Auge Eva, wie sie an jenem Tag ausgesehen hatte. Plötzlich hatte er einen trockenen Mund. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, und er konnte nichts dagegen machen. Wenigstens hatte Maggs endgültig das Land verlassen: Er und seine neue Freundin waren nach London aufgebrochen, wie er es angekündigt hatte, um das Evangelium zu verbreiten – oder was auch immer sie dort vorhatten. Laut ein paar Kollegen, die Doyle bei der Londoner Polizei kannte, lebten die beiden in Muswell Hill.
Doyle war schon seit drei Jahrzehnten bei der Polizei. Er hatte nie geheiratet und bewohnte seit zwanzig Jahren ein möbliertes Zimmer bei seiner Hauswirtin Mrs. Mulroney. Sein Leben bestand aus seinem Beruf, dem Pub, der Hunderennbahn – und den Straßen dieser alten Stadt, die schon so vieles gesehen hatten, von so vielen Menschen.
Am Fenster blieb Quinn einen Moment stehen. Seine Gedanken schweiften ab. Das Büro ging auf die Harcourt Street hinaus, und jenseits der Straße erstreckte sich St. Stephen’s Green. Einen Steinwurf in Richtung Nordwesten lag Dublin Castle, von wo bis 1922 die Engländer regiert hatten. Quinn sinnierte einen Moment: In dem alten Gebäude war zur Zeit von Elizabeth I. der Erzbischof von Cashel gefoltert worden. Diejenigen, die ihn gefangen hielten, hatten einen Metallstiefel für sein Bein geformt, den sie dann mit Öl und Salz füllten und über einem offenen Feuer »kochten«.
Unten schob Sergeant Dunne Dienst. Dunne, der ursprünglich vom Land kam, war ein langjähriger Kumpel von Doyle. Ein ungepflegter Mann mit einem großen Bauch und einer
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