Seelenrächer
berauschend.
Alles war ruhig: Im Club war heute nichts los, keine Feier und auch kein brasilianischer Tanzabend – oder was der Samba-Sound, den er so oft hörte, sonst bedeuten mochte. Auf der anderen Straßenseite ragte St. Kevin’s Church auf, und während sie beide dort zwischen herabgefallenem Herbstlaub standen, fing es zu regnen an.
»Was hast du deinem Mann gesagt?«, fragte er sie.
»Gar nichts. Er ist nicht da. Er ist mit seinem Bruder nach Wicklow gefahren, zum Golfen. Da sind sie schon das ganze Wochenende und kommen erst morgen wieder zurück. Ich wollte es eigentlich am Freitag erwähnen, als wir das Zeug für Naas gepackt haben, aber …«
Sie betraten das Gebäude durch die Seitentür. Quinn hatte das Gefühl, als wären seine Sinne plötzlich geschärft: Er konnte jedes Rascheln ihrer Kleidung wahrnehmen, ja sogar ihren Herzschlag hören, und während sie nun vor ihm herging, witterte er ihre Weiblichkeit wie einen Hauch duftender Spinnfäden. Sie trug Jeans und ein enganliegendes Oberteil. Zu sehen, wie sich der Jeansstoff um die Konturen ihrer Oberschenkel schmiegte, raubte ihm den Atem. An der Tür trat sie zur Seite, damit er den Schlüssel ins Schloss bekam. Dabei streifte sie ihn mit den Brüsten. Für einen Moment sah er seine Frau vor sich, doch sie hatte ihn ja von sich weggestoßen. Er musste auch an seinen Sohn denken, um den er nicht mit ihr trauern durfte.
Die Garda verfügte nur noch über diese eine Wohnung, bestehend aus Schlafraum, Wohnzimmer, Kochnische und Bad. Mehr war es nicht. Durch die offene Schlafzimmertür fiel Quinns Blick auf das ungemachte Bett.
Murphy ließ sich auf dem Sofa nieder und musterte ihn dabei so eindringlich, dass er es fast schon beunruhigend fand. Ihr Haar war streng zurückgebunden. Ihre goldenen Ohrringe durchstachen die Ohrläppchen jeweils genau in der Mitte. Quinn betrachtete sein Gegenüber nun auch ganz unverhohlen. Heimlich hatte er das schon seit Monaten getan. Irgendetwas an dieser Frau ließ ihn die Einsamkeit, die ihn zwölf Monate zuvor zum ersten Mal umschlossen hatte, besser ertragen. Ihm fiel ein, dass im Kühlschrank eine Flasche Wein stand. Nachdem er zwei Gläser eingeschenkt hatte, holte er einen Aschenbecher und zog die alte, nur noch halb volle Zigarettenschachtel aus der Tasche. Dann schaltete er ganz bewusst sein Telefon aus.
»Ich war vorhin noch im Büro«, erklärte er. »Irgendwie wusste ich nichts mit mir anzufangen, und da wir morgen losstarten und …«
»Nehmen wir die Mary-Harrington-Akte mit?«
Er schürzte die Lippen. »Das hast du mich am Freitag schon mal gefragt, und ich habe Nein gesagt. Ich habe sie vorhin nur ausgegraben, weil Eva heute beim Gedenkgottesdienst immer noch die Kette trug, die Maggs ihr geschenkt hat. Sie hat sie seit Dannys Tod mehr oder weniger die ganze Zeit getragen.« Er zog die Schultern hoch. »Warum, weiß ich nicht: Vielleicht fand sie ein wenig Trost in dem, woran sie früher geglaubt hat, oder so was in der Art.«
»Hast du inzwischen deine Meinung geändert?«
»Nicht, was Mary betrifft. Alle Opfer waren alleinerziehende Mütter, Murph. Das ist der gemeinsame Nenner. Dass Mary schwanger war, wissen wir nur aufgrund einer Autopsie.«
Murphy lehnte sich zurück. Sie hatte beide Hände um das Weinglas gelegt, an dessen Rand ein ganz schwacher Abdruck ihrer Lippen zu erkennen war. Sie schwiegen jetzt beide. Zwischen ihnen herrschte eine leichte Verlegenheit, die er vorher nicht gespürt hatte.
»Vielleicht hätte ich nicht kommen sollen«, meinte sie schließlich.
Quinn musterte sie. »Du hättest Nein sagen können.«
»Ich weiß.«
»Warum hast du es nicht getan?«
Da musste sie lachen. »Weil ich dich sehen wollte. Das wünsche ich mir schon seit dem Moment, als ich dir zugewiesen wurde.«
»Doyle hat den Verdacht, dass zwischen uns beiden etwas läuft. Das ist dir doch bewusst, oder? Lieber Himmel, Murph, ganz egal, welchen Dienstgrad ich habe, er tut immer noch, als käme ich gerade frisch aus Templemore.«
Plötzlich waren sie nicht mehr verlegen. Quinn machte sich einfach keine Gedanken mehr und sie auch nicht. Sie stellte ihr Glas ab und stand auf. Dann beugte sie sich langsam über ihn, legte eine Hand an seine Wange und küsste ihn. Die Berührung ihrer Lippen – verboten und von ihm ursprünglich gar nicht gewollt, bescherte ihm plötzlich ein unglaublich gutes Gefühl. Das Ganze war falsch, es war zu kompliziert, und doch hatte es zugleich eine Einfachheit, die
Weitere Kostenlose Bücher