Seelenrächer
gejährt, und sowohl Eva als auch Moss waren auf dem Friedhof gewesen. Allerdings waren die beiden nicht gemeinsam dort gewesen. Sie waren seit einem Jahr nicht mehr zusammen.
Doyle hatte weder eine Ehefrau noch Kinder, aber er hatte gesehen, wie es diesen beiden Mädchen ging. Ihm war nicht entgangen, wie sehr sie litten, und am liebsten hätte er seine Nichte an der einen Hand genommen und seinen Partner an der anderen und ihnen – zumindest im übertragenen Sinne – die Schädel aneinandergeschlagen. Als wäre der Tod des Jungen nicht schlimm genug! Da musste doch nicht auch noch alles andere kaputtgehen.
Dass die Kinder nun ihre Mutter suchten, war in der Tat höchst beunruhigend. Er hatte durchaus bemerkt, in welchem Zustand Eva gestern gewesen war. Natürlich konnte er hinter ihr Lächeln blicken, sie war schließlich die Tochter seines Bruders. Einfach verschwinden – das sah ihr gar nicht ähnlich. Das sah ihr ganz und gar nicht ähnlich.
Wieder wählte er Quinns Nummer, wieder ging niemand ran. »Moss«, murmelte er leise, »warum hast du dein Telefon nicht an?«
Montag, 1. September, 07:30 Uhr
Murphy war noch unter der Dusche. Sie hatten sich den Großteil der Nacht geliebt. Nun saß Quinn vor einer Tasse Kaffee und spürte zum ersten Mal seit Jahren wieder diese Art von Glut im Bauch. Er war nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Er war auch nicht sicher, ob er überhaupt wissen wollte, was es bedeutete. Nach dem Trauma des gestrigen Tages und Evas distanzierter Art war er glücklich, überhaupt etwas zu fühlen.
»Hör zu«, rief er zu ihr hinüber, »ich fahre schon mal ins Büro und mache die Akten für Naas fertig. Wir sehen uns dann dort, in Ordnung? Es ist wahrscheinlich besser, wenn wir nicht zusammen auftauchen.«
Murphy massierte gerade Shampoo in ihre Kopfhaut. Er beobachtete, wie der Schaum auf ihre Schultern hinunterglitt, von dort auf ihre üppigen Brüste und dann in Rinnsalen ihren Bauch hinunter. »Ja, fahr ruhig los«, antwortet Murphy. »Ich werde mich ganz unauffällig hinausschleichen, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.«
Nachdem er sie in der Wohnung zurückgelassen hatte, trottete Quinn die Treppe hinunter und auf die herbstliche Straße hinaus. Der Wind blies, und zwischen den Bäumen sah der Regen wie anthrazitgrauer Nebel aus. Den ganzen August hatte es so viel geregnet, dass man das Gefühl hatte, als wäre das halbe Land schon seit Wochen überflutet. Sobald er in seinem Wagen saß, schaltete er das Radio an. Ein paar Minuten später hatte er bereits die Schranke am Harcourt Square passiert und parkte in der Tiefgarage. Direkt hinter ihm kam Frank Maguire in seinem großen silberfarbenen Opel die Rampe herunter.
Quinn wartete. Er hatte den Mann erst gestern gesehen. Wie so viele andere Menschen war auch Frank über den Fluss gefahren, um Dannys zu gedenken. Patrick, Franks jüngerer Bruder, war natürlich ebenfalls da gewesen. Der Gedanke an Paddy rief Quinn ins Gedächtnis, dass er unbedingt mit ihm reden musste. Sein bester Kumpel aus ihren gemeinsamen Rugby-Tagen betreute als Sozialarbeiter unter anderem Gefängnisinsassen. Er bot ihnen eine Art Gesprächstherapie an und hatte sich als Freund der Familie auch um Eva gekümmert. Paddy war ein guter Zuhörer und stand ihr auch ein Jahr nach Dannys Tod immer noch zur Seite.
Quinn beobachtete, wie der Superintendent ausstieg: mit seinen sechsundvierzig Jahren war er ein echter Karrieretyp – ein Mann, den es geradezu ins Garda-Präsidium zog. Er verkehrte gerne mit den oberen Rängen, aber in Wirklichkeit kannte Quinn den Polizeipräsidenten, Tom Calhoun, viel besser als er. Diese Tatsache wurmte Frank Maguire natürlich: Immerhin war er der Ältere und Ranghöhere, und in Anbetracht seiner Golfclub- und Freimaurer-Verbindungen erschien es recht unverständlich, dass Quinn bei der obersten Riege bessere Karten hatte als er. Aber Calhoun und Quinn kannten sich noch von früher vom Rugby. Damals hatten sie ein paar Jahre zusammen in einer Mannschaft gespielt, bevor Calhoun seine Rugby-Schuhe an den Nagel hängte.
Maguire trug sein helles Haar kurzgeschnitten und vorne schräg über die Stirn gekämmt. Er war mit einer Investment-Bankerin verheiratet, die ständig nach London oder New York flog. Alles, was zu ihm gehörte, war seiner Stellung angemessen: sein Wohnort genauso wie der Golfplatz, auf dem er spielte. Als Krönung des Ganzen trug er auch noch maßgeschneiderte Anzüge. Täglich empfing er in St.
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