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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G O'Carroll
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ihn verteidigt hatte.
    Mehr als zwanzig Jahre später hatte sie ihn in ihrem Wohnzimmer in Glasnevin erneut verteidigt, indem sie ihrem Mann ins Gedächtnis rief, dass es für seine Schuld keine konkreten Beweise gab und dass ihm das Geständnis mit Gewalt abgepresst worden war. Während Quinn nun ihren Wagen anstarrte, studierte er immer wieder das Kennzeichen, als müsste er sich erst davon überzeugen, dass es sich tatsächlich um ihren Wagen handelte.
    Was sollte er zu ihr sagen? Wie würde sie reagieren, wenn er plötzlich auftauchte und sie zur Besinnung kam und begriff, dass sie ihre Töchter im Stich gelassen hatte, um bei ihrem toten Sohn zu sein?
    »Sachte, sachte«, murmelte er. »Pass auf, dass du sanft mit ihr umgehst, mein Junge. Mehr ist gar nicht nötig.«
    Nachdem er den Wagen abgesperrt hatte, machte er sich auf den Weg in die hinterste Ecke des Friedhofs – die Ecke mit dem Dickicht aus Bäumen, der Eisenbahnlinie und dem Kanal dahinter.
    Mitten in der Bewegung blieb er wie angewurzelt stehen und kniff die Augen zusammen. Sie war nicht da. Das Grab war verwaist, und auf den Bänken rundherum saß auch niemand. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Quinn verstand das nicht. Suchend blickte er sich um, fast hätte er ihren Namen gerufen. Vielleicht war sie irgendwo auf dem Treidelpfad am Kanal. Ein schrecklicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Vor seinem geistigen Auge tauchte wieder das bleiche Gesicht der Ertrunkenen auf, das er vorhin gesehen hatte.
    Er war nur noch ein paar Schritte vom Grabstein seines Sohnes entfernt, als sein Telefon zu läuten begann. »Quinn«, meldete er sich, das Handy dicht ans Ohr gepresst.
    Einen Moment lang hörte er nur Schweigen. Quinn war etwas unkonzentriert, abgelenkt durch die vielen Blumen von gestern und – jenseits des Grabes – durch die Eisenbahnlinie, wo ein Zug nach dem anderen vorbeirauschte. Dahinter funkelte das dunkle Wasser des Royal Canal.
    »Hier ist Detective Inspector Quinn«, meldete er sich erneut.
    »Tick-tack.« Eine gepresste, krächzende Stimme, die eigentlich gar nicht wie eine Stimme klang. »Tick-tack. Die Maus und die Uhr. Tick-tick-tack. Springt die Maus den Zeiger rauf. Bleibt die Uhr steh’n, ist’s um die Maus gescheh’n.«
    Dann war die Leitung plötzlich tot, und Quinn starrte verblüfft auf das Telefon.
    Er stand noch immer wie angewurzelt an derselben Stelle, die Stimme noch im Ohr. Der Wagen seiner Frau parkte draußen neben der Brücke, aber sie war nicht da. Seine Handflächen waren plötzlich schweißnass, und sein Magen, der schon den ganzen Tag vor Anspannung krampfte, zog sich noch fester zusammen. Er trat näher an das Grab heran. Irgendetwas stimmte damit nicht. Erst jetzt bemerkte er, dass manche der Blumen flachgetreten aussahen, fast als wäre jemand auf ihnen herumgetrampelt. Stiele waren abgebrochen, Blütenblätter über den Boden verstreut. Im Gras entdeckte er Fußabdrücke. Es hatte so viel und so lange geregnet, dass der Boden ganz matschig war und die Spuren sich tief und unauslöschlich in die Erde eingedrückt hatten. Irgendetwas an ihnen irritierte ihn. Sie reichten zu nahe an die Steine heran und wiesen in alle möglichen Richtungen. Einige identifizierte er als Abdrücke eines Frauenschuhs, andere stammten der Größe nach von einem Mann.
    Wieder hallte die Stimme in seinem Kopf nach. Schlagartig brach ihm der kalte Schweiß aus. Er begriff plötzlich, was hier passiert war.
    Als er hinter sich etwas hörte, drehte er sich schnell um. Eine ältere Frau kam mit einem Blumenstrauß des Weges. Wild winkend suchte er in seiner Tasche nach seinem Ausweis. »Ich bin von der Polizei!«, rief er. »Würden Sie bitte stehen bleiben!«
    Sie tat sofort, wie ihr geheißen, wenn auch mit leicht irritierter Miene. Quinn lächelte sie beruhigend an. »Hören Sie, es tut mir leid«, erklärte er, »mir ist klar, dass Sie hier ein Grab besuchen wollen, aber ich möchte Sie dennoch bitten, umzudrehen und den gleichen Weg zurückzugehen, den Sie gekommen sind.«
    Er musste Doyle anrufen, aber vorher musste er unbedingt den Tatort sichern. Aus seinem Kofferraum holte er eine Rolle blauweißes Band. Nachdem er damit zunächst das Friedhofstor markiert hatte, befestigte er das Band an einem der Gitterstäbe und ging dann zurück zu Dannys Grab, wobei er das Band hinter sich herzog, so dass eine Art Handlauf bis hin zum Grabstein entstand. Von dort arbeitete er sich dann wieder zurück zum Tor, bis er eine Art

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