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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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angezogen mir gegenüber an den Tisch. Die Mutter links neben mich. Von meinem Platz aus sah ich zum Fenster hinaus in einen Hof. Grau in Grau. Doch im Fenster zwischen den Doppelscheiben stand ein kleines Blumenbeet mit Stiefmütterchen. Die Pflanzen wirkten glücklich und zufrieden, obwohl mir nicht klar war, woher sie ihre Sonne kriegten.
    Ich bekam eine runde Semmel auf meinen Teller, Kurti eine lange, und uns wurde Kaffee eingeschenkt. Dass ich keine Milch drin haben wollte, wurde nicht gehört. Auch bekam ich nur einen Löffel Zucker aus der Silberdose. Dafür musste ich meine Semmel selber schmieren, während Kurti seine geschmiert bekam.
    Das Ganze war ein Ritual. Solange keine Atombombe auf Wien fiel oder der alten Dame keine Ader im Gehirn platzte, würde es so weitergehen. Tag für Tag. Immer mit derselben Sorgfalt und Genauigkeit und all der Liebe, die sich darin ausdrückte. Ich konnte für einen Moment hinter den Schein der Wirklichkeit linsen, sah Kurti mit kurzen Hosen und Lausbubenlocke, dann mit blauen Jeans und Rockertolle, die Jahre und Gestalten zogen an mir vorüber. So hatten sie dagesessen am Tag der Mondlandung, beim Regierungsantritt Kreiskys, der Einführung des Euros. Ich sah die alte Frau auch allein neben dem gedeckten Tisch sitzen, dann, wenn Kurti im Gefängnis gewesen war. Kein schönes Bild.
    Während wir unsere Semmeln aßen und den Kaffee tranken, er war stark und malzig, saß die alte Frau neben uns. Sie aß nicht mit, hatte für sich selbst nicht einmal ein Gedeck aufgelegt.
    »Mutti, lasst du uns kurz alleine? Wir müssen reden.«
    »Sicher, Kurti.«
    »Danke.«
    Sie schenkte uns Kaffee nach, legte jedem von uns eine zweite Semmel auf den Teller und verschwand dann in der Küche.
    »Brauchst gar net fragen, i hob des Notizbiachl. Aber du kriagst’s net.«
    »Warum?«
    »Da geht’s um an Haufen Marie.«
    »Blödsinn.«
    »Sicha.«
    »Kurti, du hast keine Ahnung. Sei vernünftig, gib mir das Buch und du kriegst was von meinem Honorar.«
    »Wie vü is des?«
    »1.500 Euro.«
    »Für mi?«
    »Nein, das ist mein Honorar. Meine Miete bis Silvester.«
    »Hupf in Gatsch.«
    Kurti biss in die Semmel. Ich trank einen Schluck vom Kaffee. Gar nicht schlecht.
    »Mehr kann ich dir nicht anbieten.«
    »Für des Oizerl mach i des net. I hab die Villa gseng. Des Biachl is a runde Million wert. Wahrscheinlich mehr.«
    »Sei vernünftig, Kurti. Zwing mich nicht, hart zu werden. Wenn alles gut geht, kriegst du deinen Teil. Ganz sicher.«
    »Darauf gib i nix.«
    »Hast du das Notizbuch da?«
    »Schau i so bled aus in da Frua?«
    »Keineswegs.«
    »Eh.«
    »Letzte Chance.«
    »Hupf in Gatsch.«
    Darauf war nichts mehr zu sagen. Schließlich wusste ich auch so, wo er das Ding aufbewahrte. Die verliebten Blicke der Bedienung im Kotanko waren mir nicht entgangen. Vor allem aber nicht, dass ihr Kurti Feuer gegeben hatte. So was machte er nicht zum Spaß. Wo die Frau wohnte, würde sich ohne Probleme herausfinden lassen. Genüsslich schmierte ich mir die zweite Semmel mit Margarine, denn die Butter war gar keine, und aß sie auf. Dazu trank ich den Kaffee. Schließlich kam die Mutter wieder herein und räumte ab. Ich verabschiedete mich, bedankte mich höflich und ging.

VII
    Draußen auf der Straße brummten die Verbrennungsmotoren ihren frühmorgendlichen Paarungsgesang, ich drückte mich in einen Hauseingang und telefonierte.
    »Moratti, Kripo Wien.«
    »Guten Morgen.«
    »Ah, der Herr Doktor. Und wie wars? Wir warten schon die ganze Nacht auf Ihren Anruf.«
    »Hat alles geklappt, das Notizbuch ist da und muss nur mehr abgeholt werden.« Es knackte ein wenig in der Leitung. Ich nahm an, dass Moratti auf den Freisprechknopf drückte, damit seine Chefin mithören konnte. Seltsamerweise scheint es so zu sein, dass bei der Polizei immer der B-Mann telefoniert und der Alpha-Beamte zuhört.
    »Inklusive aller Seiten?«
    »Aller Seiten? Soweit sich das sagen lässt, ja. Ich hatte nicht viel Zeit reinzuschauen.«
    »Reden Sie keinen Scheiß, komplett oder nicht, das ist hier die Frage.«
    »Sicher komplett.«
    Es wurde still am anderen Ende der Leitung. Die beiden berieten sich. Dann wieder Moratti.
    »Gut, bringen Sie es, so schnell Sie können, vorbei.«
    »Das wird ein wenig dauern, fürchte ich.«
    »Gar nichts wird das. Um acht Uhr liegt es auf meinem Schreibtisch.«
    »Das geht sich vielleicht aus, aber sicher nicht, wenn ich es Ihnen bringe.«
    »Was ist los, sind Sie im Krankenhaus?« Passenderweise

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