Seelenschacher
meine Hände hinterließen Schweißabdrücke auf der Aktenmappe. Cayman Savings & Loans stand drauf. Eine Palme und ein Anker waren auch zu sehen. Das Logo sah irgendwie aus wie eine Piratenfahne.
Draußen war ich noch keine zehn Meter gekommen, mit weichen Knien und einem mulmigen Gefühl im Bauch, als auch schon mein Handy sein Recht einforderte. Es war Moratti, wieder einmal im Testosteron-Modus.
»Linder, Ihr Mann hat das Notizbuch überhaupt nicht. Er ist auch keineswegs bereit, eine Aussage zu machen.«
»Soso.«
»›Soso‹? Wissen Sie was, Sie mit Ihrem ›Soso‹ …«
»Kann ich mir vorstellen. Haben Sie eine Schmuckkassette sichergestellt und ein bisschen Bargeld?«
»Ja?«
»Gut, dann kann man wenigstens den Einbruch nachweisen.«
»Einbruch? Na und. Wir wollen Kana.«
»Ist mir durchaus klar. Wenn mein Mann es nicht hat, dann Korkarian. Das ist der Widersacher von …«
»Kana, wissen wir. Wo sitzt der?«
Ich nannte die Adresse. »Und beeilen Sie sich.«
Aber Moratti hatte schon aufgelegt. Ich setzte mich auf eine Parkbank, und zwei Minuten später sauste ein Wagen am Reithofferpark vorbei, ganz sicher mit erheblicher Geschwindigkeitsübertretung, und kam mit quietschenden Rädern vor Korkarians Büro zum Stehen. Mitten auf dem Gehsteig. Molnar und Moratti sprangen heraus. Moratti hatte schon eine Knarre in der Hand, Molnar ein Handy. Es war wie im Kino, mir fehlte nur noch das Popcorn. Leider war ich nicht mit dabei. Es war auch so unerhört spannend. Dann kam Molnar raus, hinter ihr Korkarian, mit gefesselten Händen, und hinter ihm Moratti. Molnar hatte das Notizbuch in der Hand. Mittlerweile waren zwei Streifenwagen dazugekommen, und als ich Reichi unbeschadet davonschleichen sah, gab ich meinen Beobachtungsposten auf und ging betont schuldlos davon. Mit unheimlich viel Geld unter dem Arm.
Kapitel 6
I
Es war vollbracht. Alles hatte geklappt, so wie ich mir das ausgerechnet hatte. Nun saß ich mit einer Kanne Sencha und der Aktenmappe in meinem Büro. Draußen herrschte die grimmige Mittagshitze uneingeschränkt, darum waren auch die Jalousien heruntergelassen. Im Halbdunkel vor mir auf dem Schreibtisch lagen grob geschätzte 300 Gramm Papier schlechtester Qualität. Aus den Plastikboxen auf dem Fensterbrett klang Bach an mein Ohr. Wohltemperiertes Klavier, gespielt von Glenn Gould und seinem quietschenden Sessel. Den Sessel hatte einst sein Vater für den kleinen Glenn gebaut, nun war er der Schrecken sämtlicher Toningenieure. Auch egal, vor mir lag Geld. Richtig viel Geld.
Ich befeuchtete mir den rechten Zeigefinger und begann in den Unterlagen zu blättern. Ich war so aufgeregt, dass mir die Sätze vor den Augen verschwammen. Es war alles da, der Vertrag samt Kleingedrucktem, je kleiner, desto mehr, schien mir, Kontoauszüge und Zugangsdaten. Ich begann ganz langsam den Vertragstext durchzusehen, konnte mich jedoch überhaupt nicht konzentrieren. Also ließ ich es bleiben und besah mir die Zugangsdaten. Aber auch da war nichts auszurichten. Ich blätterte eine leere Seite um und dahinter begannen die Nullen. Ein paar hinter dem Komma, doch die waren mir egal. Die vor dem Komma waren zahlreich und hatten anscheinend die Familie mitgebracht. Ich zählte. Schüttelte ungläubig den Kopf. Zählte noch mal und konnte das Resultat nicht glauben. Nachdem ich zum dritten Mal gezählt hatte, beschloss ich, es einfach hinzunehmen, dass auf dem Konto ein achtstelliger Betrag geparkt war, der keine Eins vorne stehen hatte. Ich schenkte mir Sencha nach, ließ ihn auf der Zunge und schmeckte genießerisch. Der Bach-Gould-Sessel-Sound perlte klar und logisch durch den Raum. Dann schnappte ich mein Notizbuch und schrieb auf eine Seite den Kontostand. Zweihundertunddrei Millionen Euro. Dann in Zahlen. 203.000.000. Ich beschloss, mich von nun an reich zu fühlen. Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit sollten bloß kommen, ich war vorbereitet.
Mein Handy klingelte. Ich nahm ab.
»Arno, du Arsch, was hast du da abgezogen? Ich will einen Anteil.«
»Reichi, du hast doch die 500 Euro?«
»Ist sich gerade noch ausgegangen.«
»Fein, freut mich zu hören. Mehr ist da nicht drin.«
»Blödsinn, irgendwas sind die Akten, die du da rausgeschleppt hast, doch wert.«
»Nicht für uns.«
»Aber für deinen Auftraggeber.«
»Schon, aber der zahlt mir vielleicht 1500, so gesehen hast du eh ein Drittel gekriegt.«
»Dein Gesichtsausdruck hat mich an Cortéz in Caxamalca erinnert, als du da
Weitere Kostenlose Bücher