Seelenschacher
alten Bäumen, steht eine Wirtschaft, deren Rückwand die Mauer bildet, die das Sanatorium umschließt. Trinker und Lungenkranke werden dort geheilt. Im Sanatorium, nicht im Gasthaus. Obwohl dort auch ein paar von beiden saßen, um in Anstaltskitteln kühles Bier und scharfe Schnäpse zu schlürfen. Wahrscheinlich war der eine oder andere Arzt auch dabei. Doch so genau sah ich nicht hin.
Ich folgte der Straße, die an der Mauer entlangführt, nach Westen. Zur Linken unter mir die Stadt, zu meiner Rechten Bäume und Mauer. Es roch nach Staub und Sommer, ein paar Vögel piepsten, und das Gras an der Mauer war lang und grün. Ab und zu kam ein schnaufender Fahrradfahrer oder eine schwitzende Läuferin vorbei, deren Windhauch ganz angenehm kühlte. Immer weiter ging ich an der Mauer entlang, einen steilen Hügel hinauf, in ein kleines, schattiges Waldstück voller junger Eichen. Die Ziegelsteine der Mauer waren von Moos überwachsen, der Boden neben der Straße weich und feucht. Schließlich ging es den Hügel wieder hinunter in ein kleines Tal. Neben einer schmalen Straße standen ein paar Einfamilienhäuser, alte wie neue, ringsum Bäume und Grün. Im Hintergrund stiegen die Hügel des Wienerwaldes auf.
Ich ging die schmale Wohnstraße entlang, ein schwarzes Teerband, viel geflickt, kaum breiter als ein Auto. Kinderlachen ertönte, als plötzlich vier kleine, halb nackte Indianer aus einer Hecke herausschossen, mit Wasserpistolen bewaffnet und kriegsbemalt. Offensichtlich hatte einer der kleinen Halunken Wasserfarben zu Hause. Einen Hund, riesig,
grau und mit Adlerfeder geschmückt, hatten sie auch dabei. Ich grübelte gerade darüber, ob man heute ›amerikanische Ureinwohner spielen‹ sagen müsste oder nicht, als die
vier und der Hund mich schon umringt hatten.
»Wir mögen keine Fremden in unserer Stadt, Fremder!«, sagte ein blonder Bub, vielleicht acht Jahre alt, der zu viele Spaghettiwestern gesehen hatte. Mir blieb gar nichts zu sagen übrig, denn sie ließen sofort ihre Colts sprechen. Das Wasser war kalt und angenehm. Heulend verschwanden sie durch die nächste Hecke. Der Hund hinterdrein. Ich nahm meine Ledertasche, die ich abgestellt hatte, wieder auf und suchte das Haus von Schauberger. Dabei wischte ich mir das Wasser aus den Augen. Auf den Postkästen, die an den Gartenzäunen an der Straße standen, waren überall Namensschilder angebracht, und das Dutzend Häuser hätte ich bald durch. Doch schon beim dritten Haus von links konnte ich aufhören zu suchen. Das Postkastl hatte zwar kein Namensschild, dafür der schwarze Wagen, der in der Einfahrt parkte, einen Hirsch auf dem Kühler. So viele 73er Wolgas fahren nicht in Wien herum.
Das Haus stammte aus den frühen Sechzigern, mit hölzernem Obergeschoss und Granitdach. Es war ein bisschen verwahrlost und sah ein wenig nach Hexenhäuschen aus. Was sicher daran lag, dass es halb von Büschen und Bäumen verdeckt wurde und das blühende Gras kniehoch wuchs. Ein paar schöne Falter tanzten im Sonnenlicht ihren Reigen zu den unbestimmten Klängen von Musik, die von der Hinterseite kam.
Die Klingel an der Gartentür funktionierte nicht, und so öffnete ich einfach und trat ein. Ich folgte den Steinplatten des Gehwegs zur Tür, doch auf mein Klingeln hin öffnete auch keiner. Ich ließ es mich nicht verdrießen und ging zuerst nach links zur Garage. Dort stand der Wolga davor und drinnen, das Garagentor war offen, irgendein Muscle-Car. Ebenfalls aus den Siebzigern. In der Garage war niemand, dafür jede Menge Werkzeug. Sogar einen Servicegraben konnte ich unter dem Wagen ausmachen, nachdem ich ein paar Schritte auf die Garage zu getan hatte. Bei dem Muscle-Car handelte es sich übrigens um einen Ford Mustang.
Danach ging ich zurück zur Eingangstüre, an ihr vorbei und zwischen Büschen nach hinten. Von dort kam auch die Musik. Fließende Akustikgitarren, Hammondorgel und ein sanftes Schlagzeug drangen zu mir. Schwermütiger Sound mit tiefem Südstaatenfeeling. Als ich durch die Büsche trat, begann der Gesang, gut abgemischt, nicht zu aufdringlich, schön intoniert. Der Refrain lautete: ›My angels, my devils, thorn in my pride‹, schön schwingend mit gutem Groove.
Auf einer Holzbank neben der Kellertür saß ein junger Mann im Schatten der alten Obstbäume. Er hatte schwarzes, halblanges Haar, eine kleine Bierflasche in der Hand und rauchte eine Zigarette. Sein ärmelloses Leibchen zeigte Ölflecken ebenso wie muskulöse Arme. Die Jeans waren blau
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