Seelenschacher
noch einen Blick zugeworfen, der besagen sollte: Warten Sie nur, bis wir wieder alleine sind.
»Wir haben’s mit unseren Chefitäten alle nicht leicht«, meinte die Stahlklinge anschließend. Moratti und ich nickten.
Es blieb uns allerdings nicht viel Zeit, in der gemeinsamen Erfahrung zu baden, denn dann gingen wir meine Antworten nochmals durch. Alles wurde wiederholt, wiederholt, wiederholt. Endlich sprang Moratti, den bösen Cop spielend, auf, schlug die flachen Hände auf den Tisch und brüllte:
»Verarschen Sie uns nicht, Linder! Wenn Sie mich fragen, dann hat die Schauberger mit Ihnen Schluss gemacht, und das haben Sie mit Ihrem kümmerlichen Ego nicht verkraftet.«
»Schließen Sie immer so unbefangen von sich auf andere?«
Moratti hatte die Beleidigung augenblicklich verstanden und war schon im Begriff, so zu tun, als ob er mich verprügeln wollte, als ihn Molnar zurückpfiff.
»Hört doch auf mit eurem Machoblödsinn, es geht hier nicht darum, wer den größten hat. Eine Frau ist tot, und Ihre Antworten, Linder, helfen uns überhaupt nicht weiter. Sogar wenn ich Ihnen diese aberwitzige Sexstory glauben tät, …« Sie ließ den Rest des Satzes im Raum stehen. Die Krimineser hatten alles durchprobiert, es war nichts dabei herausgekommen, nun mussten sie weitersuchen, um mit neuen Ergebnissen ein paar Tage später wieder ihr Glück bei mir zu versuchen. Bis dahin hatte ich wenigstens ein wenig Zeit gewonnen.
»Nur weil meine Akte so dick ist, heißt das noch lange nicht, dass ich jedes Mal der Schuldige bin.«
»Was soll das heißen: ›Ihre Akte‹? Wir haben Sie nicht auf Papier. Wo haben Sie denn den Unfug her?« Das saß. Wieder einmal hatte mir mein großes Mundwerk alles verdorben.
»Mit den neuen Gesetzen haben Sie doch alle im Karteischrank. Das Zeitalter des gläsernen Bürgers ist angebrochen«, versuchte ich mich schwach herauszureden.
»Das ist doch alles hysterischer Blödsinn. Woher haben Sie die Idee mit der Akte nun wirklich, und was sollte da Ihrer Meinung nach drinstehen?«
»Nur eine Ausgeburt meiner linken, staatsfeindlichen Paranoia.«
»Ich hab schon Autonome gesehen, die schauen anders aus. Sie werden wieder von uns hören!«
»Sehr gern, vielleicht ist mir bis dahin was eingefallen. Übrigens, Frau Inspektor, darf man Sie Szusza nennen?«
»Nur wenn Sie wollen, dass ich Ihnen die Zunge abbeiße.«
Die beiden standen auf und wollten schon gehen, als ich noch zwischen Tür und Angel eine Frage stellte.
»Sagen Sie, woher haben Sie eigentlich meinen Namen und meine Adresse? Marianne hatte mich nicht im Handy, und auch sonst war sie sehr vorsichtig.«
»Im Auto fand sich ein Zettel mit Ihren Daten.«
Und fort waren die beiden.
III
Tee hilft immer. Es waren noch zwei oder drei Tassen Tee in meiner Kanne, und ich beschloss, alles zu trinken, während ich versuchte, vor mir selbst Klarheit zu gewinnen. Ich stöpselte den iPod ein und hörte ein bisschen Musik. Musik, die ich gut kannte und bei der meine Seele baumeln konnte. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es wichtig ist, zuerst einmal das Adrenalin abzubauen, an nichts zu denken. Sobald das geschehen ist, kommen die guten Ideen von selbst. Wie immer waren es die Stones, die mir dabei halfen. Keith zupfte sanft, Mick stieg ein, und als er die erste Zeile beendet hatte, verspielte sich Keith beim Akkordwechsel von A auf G. Der alte Herr entschuldigte sich und begann von neuem. »Love in vain« ist so ein Song, der Klarheit herstellt. Natürlich erreicht er die bodenlosen Abgründe der Emotionalität nicht, die Robert Johnson ihm gibt, aber für ein paar weiße Jungs gar nicht schlecht. Slide-Gitarre und Harmonika dominieren den Mittelteil bis zum Schluss hin, bei dem ich in Gedanken immer am Ol’ Man River sitze, einen Strohhalm im Mund und die nackten Füße in den braunen Fluten. Irgendwo hinten fährt ein Zug in eine Station ein, ich schultere meinen Sack, renne los und fahre mit. Als Mick dann mit den Worten »all my love’s in vain« schloss, war ich so weit, dass ich handeln konnte.
Zuerst einmal musste ich das Notizbuch der Schauberger finden. Das hatten wahrscheinlich ihre Mörder, oder ihr Mörder, wenn es nur einer gewesen sein sollte. So gut, so schwer. Dazu musste ich noch schneller sein, als die Polizei es mir erlauben würde, da ich ja Erichs Interessen zu wahren hatte. Irgendwie gefiel mir dabei auch die Idee, für Erich, den Kardinal, den Papst selbst mittelbar im Interesse Gottes und seiner allein
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