Seelenschacher
selig machenden Kirche zu arbeiten. Ich war also im wahrsten Sinne des Wortes ein Dominikaner, ein Spürhund Gottes. Arno Linder, im Auftrag der höchsten Autorität, die sich denken lässt. Wen scherte es da, wenn ich ein paar Gesetze brach?
Dass ich in meiner Blödigkeit die Exekutive selbst auf meine Spur gesetzt hatte, war nun nicht mehr zu ändern. Sehr ärgerlich, denn die beiden würden sicher herumfragen, und es konnte nicht lange dauern, bis es dann doch eine Akte gäbe. Danach wäre es mit meiner Ruhe vorbei, denn die Polizei kann enorm hartnäckig sein. Hybris hin, Stolz her, gut war zu wissen, dass Schauberger mich nicht aus den Polizeiakten kannte, sondern aus anderer Quelle geschöpft hatte. Von woher, blieb zwar eine Frage, doch ohne Frage keine Antwort.
Ich spülte schnell die Kanne aus, packte meine Siebensachen in die Ledertasche und sperrte ab. Um einen Besuch bei Glanicic-Werffel kam ich nicht herum. Warten würde sie nur böser machen. Ich klopfte an und trat ein. Das Büro ist groß, liegt auf die Universitätsstraße hinaus, so dass man über den Roosevelt-Platz hinüber die neugotische Fassade der Votivkirche sieht. Das Parkett ist hell, die Blumen leben und die Bücher, in Stellagen und auf dem Schreibtisch, wirken gelesen. Eine nette Atmosphäre von Wissenschaft und Ästhetik herrscht uneingeschränkt vor. An den Wänden hängen ein paar moderne Bilder, nicht zu modern, aber doch aufregend.
Als mein Lehrer noch auf ihrem Platz saß, türmten sich die Folianten deckenhoch, Notizen, Prüfungszettel und Exzerpte lagen umher, die meisten als Fidibusse verwendet und deswegen angesengt. Durch den Tabaknebel im Zimmer hätte man auch dann nichts von der Aussicht gehabt, wenn die Bücher nicht die Fenster verstellt hätten. Alles war bedeckt von einer millimeterdicken Schicht aus Asche und Teer. An der Decke, über seinem Platz, war ein gelber Nikotinfleck zu sehen gewesen. Den hatte Glanicic-Werffel als Erstes übermalen lassen. Sic transit gloria mundi.
Meine Chefin saß hinter ihrem Schreibtisch und blätterte in ein paar Büchern herum. Als ich eintrat, hob sie den Kopf. Mit einem Nicken ihres Hauptes zwang sie mich in den Stuhl.
»Ich bin hergekommen, weil ich ein paar Bücher aus der Bibliothek entlehnen will. Das Erste, was ich höre, ist, dass im Institut spätnachts das Licht noch gebrannt hat.« Ich wollte antworten, aber sie unterbrach mich. »Nein, nein, ich will nichts hören, Linder. Das Nächste ist, dass Sie morgens um halb neun schon wieder da sind«, dabei zog sie eine ihrer makellos gezupften Augenbrauen indigniert hoch, »und außerdem schon wieder von der Polizei verhört werden.« Beiden ›wieder‹ im Satz gab sie alle Betonung, die sie gerade noch vertragen konnten. Dann ließ sie ihren Blick über meinen Aufzug schweifen.
»Ihre Aufmachung ist das Letzte. Sie sehen aus wie ein Obdachloser, sind unrasiert und stinken vermutlich.« Damit tat sie mir unrecht. Das Hemd war nur ganz leicht verknittert, das Sakko sauber und außerdem war ich frisch gewaschen. Gut, rasiert war ich nicht, da hatte sie recht. Eine Dame ihres Kalibers stellt Ansprüche, die nicht leicht zu erfüllen sind. Vermutlich ist jedes Sakko von der Stange für sie zerknittert, einfach weil es nicht maßgeschneidert ist.
»Raus mit Ihnen, Linder, sonst treffe ich im Zorn noch eine Entscheidung, die uns beiden noch leidtun wird. Vor allem aber Ihnen.« Wieder nickte sie, und ich fand mich draußen vor der Türe wieder.
Irgendetwas stimmte da nicht. Normalerweise ließ sie keine Gelegenheit aus, um auf mir rumzuhacken, zerpflückte genüsslich meine Ausreden und stellte mir die Rute ins Fenster. Außerdem hatte sie ihre Anwesenheit gerechtfertigt, vor mir, dem Externen Lektor. Und warum wollte sie am Institut ausleihen, die Familienbibliothek umfasste laut Fama ein halbes Stockwerk des Stadtpalais und war Generationen alt. Außerdem hatte sie einen schwerreichen Industriellen zum Mann, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Was machte sie in aller Herrgottsfrüh in ihrem Büro? Irgendetwas stimmte da nicht. Ganz und gar nicht.
Aber ›first things first‹, wie der Angeber sagt, und so machte ich mich auf in die Rosentalgasse, irgendwo hinter der Baumgartner Höhe, weit im Westen Wiens. Nach einer gefühlten Ewigkeit, es ging nun schon auf den Mittag zu, stieg ich aus dem 48A. Die Sonne brannte unerbittlich und unter mir dampfte die große Stadt. Neben der Bushaltestelle, im Schatten unter ein paar
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