Seelenschacher
kaum mehr als einen Punkt am Horizont ausmacht, stört das nicht. Neben dem Schreibtisch befindet sich ein Stapel weißes Papier. Der einzige Farbtupfer im Raum ist das Applelogo auf den Geräten.
»Machen wir uns was zu trinken, dann setzen wir uns raus in den Garten. Was ich dir zu erzählen habe, ist den Aufwand wert.«
Ich folgte Shahin durch mehrere Räume, alle weiß, alle leer, nur hier und da ein paar abgedeckte Möbel. Irgendwo hing an einer Wand ein Gemälde. Ich hätte nicht meine rechte Hand darauf verwettet, doch es sah aus wie ein Caravaggio und es zeigte Judith, die Holofernes enthauptete. Das konnte nicht das Original sein, das hing sicher in den Uffizien oder sonst wo.
Irgendwann, nach einer endlosen Anzahl kahler Räume, standen wir in der Küche. Weiß in Weiß in Weiß. So wie der Rum, den Shahin in hohe Gläser goss, die mit Eiswürfeln gefüllt waren. Dazu kam irgendwas Flüssiges, Grünes.
»Mojito. Rum mit Pfefferminze, bei der Hitze der Hammer. Hab ich aus Kuba, als ich mit Massu dort war.«
»Was habt ihr dort gemacht?«
»Fidel brauchte ein paar Kleinigkeiten.«
»Die schießen oder fliegen?«
»Beides.«
»Hmmm. Das ist wirklich gut.« Der Mojito war nicht zu stark, die Pfefferminze frisch, und alles eiskalt. Zwar kein Tee, aber auf seine Art auch nicht schlecht.
»Sicher, den Rest füllen wir uns in eine Thermoskanne und nehmen’s mit raus.« Gesagt, getan. Zehn Minuten später saßen wir auf der hinteren Terrasse der Villa im Schatten auf der verrosteten Hollywoodschaukel. Vor uns lag der Pool, hinter dem Pool ein paar Obstbäume, hinter den Obstbäumen Weingärten und dahinter die Friedhöfe. Hinter den Friedhöfen lag die Stadt. Bei uns im Schatten war es angenehm, da sich sogar eine kleine Brise regte. Draußen in der Sonne flirrte die Luft über dem Pool, die Farben glitzerten und die Blätter der Weinreben strahlten in millionenfachen Abstufungen von Grün. Irgendwo wurde gemäht und es hing der Duft nach trocknendem Gras in der Luft.
»Ich will mich nur noch schnell ankicken, dann erzähl ich’s dir.«
»Kick mich auch an, sei so gut, ja?«
»Sicherlich. Ist mir eh aufgefallen. Warum wolltest du das letzte Mal nichts?«
»Sabbatical.«
»Wassndas?«
»Versuch der Selbstreinigung. Tut gut.«
»Dann solltest du lieber den Tee lassen. Das wär besser für dich. Das bisschen Kiffen hat noch niemandem geschadet.«
»Tee ist harmlos.«
»Quatsch mit Soße, der bringt dich noch mal in die Klapse.« Shahin hatte die Zunge zwischen den Zähnen, als er fertig rollte. Dann gab er sich Feuer und heizte an. Nach einem ersten Zug blies er langsam aus.
»Musst du nicht arbeiten?«
»Ach, momentan ist das nicht so wichtig. Sommerloch. Kann ich auch noch morgen machen.« Nach einem weiteren Zug reichte er mir den Joint und begann.
»Also, interessierst du dich noch für die Hohlwelttheorie?«
»Na ja, es geht.«
Das Strahlen verschwand aus Shahins Augen und er fiel ein wenig in sich zusammen.
»Schade.«
»Sicher interessiere ich mich noch dafür, bloß ist es so, dass mir momentan alles andere um die Ohren fliegt. Ich brauch ein Notizbuch, hab jedoch keine Ahnung, wo es steckt. Ich soll einen Safe knacken, weiß aber nicht, wie man das macht. Und noch ein paar andere Kleinigkeiten.«
Dazwischen hatte ich auch einen Zug genommen, aber vorsichtig. Wenn Shahin ankickt, dann fallen die meisten schon aus dem Sattel. Mir kribbelte es schon ein wenig unter der Hirnschale, und ich gab den Joint zurück. Shahin füllte die Gläser erneut. Thermoskannen sind kolossal praktisch. Sie halten Tee heiß, Drinks kalt, und ich kannte mal wen, der schmuggelte Koks in der Zwischenwand.
»Komm, erzähl mir schon von der Hohlweltsache.«
»Also, pass auf. Ist schon ewig her, dass ich mich damit beschäftigt habe. Damals gabs noch kein Internet. Als du das letzte Mal weg warst, hab ich ein bisschen recherchiert. Weißt du was?«
»Nein.« Shahin zog die Hand mit der Tüte wieder ein.
»Nein.«
»Hä?«
»Gib mir den Joint, dazu ›Ja‹, aber ›Nein‹ zu ›Weißt du was‹.«
»Ach so.« Den Joint behielt er und zog.
»Also, da gibt’s ein Forum.«
»Für alles gibt’s ein Forum.«
»Ja, aber das heißt ›hohle Welt‹, und da diskutieren sie nur über solche Sachen. Ich dachte immer, das ist tot. Nein, es gibt tatsächlich Leute, die daran glauben. Die Uni Innsbruck hat erst dieses Semester Messungen auf der Europabrücke durchgeführt, unter Prof. Gerhard Österle, um
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