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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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bezahlt, ausgetrunken und war bereit zu gehen. Ich hatte noch einen Schluck Bier im Glas und überhaupt keine Eile. Noch wollte ich ein wenig sitzen bleiben, um zu grübeln. In mein staubiges Büro würde ich noch früh genug kommen. Wenn es sich gar nicht vermeiden ließe, könnte ich mir sogar noch etwas zum Trinken bestellen. Fluch über die Gasthäuser Wiens, in denen Tee nur in Beuteln zu haben ist.
    Als Erich aufgestanden war, seine Sachen in Ordnung gebracht hatte, die schweinslederne Mappe unter die Achsel geklemmt war und er den ersten Schritt vom Tisch weg gemacht hatte, meinte ich noch nebenher:
    »Ach ja, was Positives gibt es auch noch.«
    »Ja?«
    »Korkarian ist kein Jude.«
    Erich fielen Zentner von der Seele. Morgen würden die Zeitungen von einem Beben der Stärke 3 schreiben, mit Epizentrum Wien 1, Rudolfsplatz. An der Copa Kagrana würden sie morgen beim Baden aufpassen müssen, des Tsunami wegen.
    Erich schnaufte tief durch, »Gott zum Gruß«, sagte er noch, dann ging er auf eines der wartenden Taxis zu.
    Während des Gesprächs war mein Zwiebelrostbraten Biss für Biss verschwunden. Die knusprig-braunen Zwiebeln verliehen dem saftigen Rindfleisch genau den Reiz, der einen zwei Bissen mehr essen lässt, als gesund ist. Eine kräftige Sauce und Röstkartoffeln taten das Ihre. Nun war mir hochoffiziell schlecht. Also ließ ich das Grübeln sein und machte mich auf den Weg zur Uni. Schließlich soll man sich ja nach dem Essen ein bisschen bewegen. Und auf der Uni gab es Tee, so viel ich wollte, grün, schwarz und oolong.

V
    Schon wieder die Fliege. Es war nicht auszuhalten. Sobald die ersten Sonnenstrahlen durch den Lichthof an mein Fenster klopften, erwachte die hässliche, schwarze Nervensäge zum Leben. Dann gab es für sie nur mehr einen Ort auf dieser Welt. Meine Wange. Untertags musste sie sich irgendwo verkriechen, denn sie war nicht zu bemerken. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich wiederholte meinen Mordschwur gegen den kleinen Störenfried und schenkte mir, noch im Bett liegend, eine erste Schale Tee ein. Nachdem ich die zweite ausgetrunken hatte, öffnete ich meine Augen. Der bittere Assam hinterließ ein pelziges Gefühl auf meiner Zunge und ein Brennen im Zahnfleisch. Ich goss mir noch einen ein, leider nur mehr einen kleinen, denn die Kanne war leer, und lehnte mich auf meinem Kissen zurück. Panini mochte der größte Grammatiker aller Zeiten sein, aber als Kopfkissen taugte er nicht viel. Auch dann nicht, wenn ihn ein Aktenordner des Kongresses zu Freiburg von 1975 unterstützte. Ich quälte mich hoch und sah auf meine Uhr. Viertel vor acht. Höchste Zeit, der Kardinal wartete schon.
    Im Gassengewirr rund um die Franziskanerkirche war es gar nicht so leicht, die winzige Ballgasse zu finden, von der die Blumenstockgasse abzweigt, an deren Nummer 5 ich zu klopfen hatte. Die Häuserzeilen standen einander dicht gegenüber, so dass der Himmel über mir kaum mehr zu sehen war. Oben hätte man sicher seine Nachbarin von Fenster zu Fenster küssen können, wäre die Atmosphäre nicht gar so ernst und verstockt gewesen. Passanten gab es keine, die Stadt schien ausgesperrt. Außerdem bog sich die Gasse derart, dass keine zehn Schritte weit zu sehen war. Schließlich stand ich vor einer rotbraunen Holztür, die über und über mit abgegriffenen Schnitzereien verziert war. Ein Löwenkopf in Augenhöhe fiel mir besonders auf, nebst einem Stier, einem Adler und einem Menschen. Die Symbole der vier Evangelisten. Unter sarkastischen Theologen gibt es seit alters her die Frage, warum Matthäus durch einen Menschen und nicht auch durch ein Tier symbolisiert werde. Die Antwort ist einfach: wird er doch. Sein Symbol ist der Esel, allerdings der auf zwei Beinen.
    Ich klopfte an die Tür, aber das Holz war massiv, da drang nichts durch. Bis auf einen Panzer vielleicht. Ich blickte mich um, doch ein Klopfer war nicht zu sehen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass halb neun schon gekommen war. Die Zeit verrinnt unerbittlich, egal was man auch tut. Also klopfte ich nochmals, aber bis auf wunde Fingerknöchel der rechten Hand brachte das gar nichts ein. Ich blickte mich um. Überall sah ich nur grauweiße Mauern, und hoch oben ein paar Fenster. Mit Kieselsteinen kann man vielleicht ans Fenster der Geliebten klopfen, doch nicht an das des Kardinals. Also wartete ich. Schließlich vibrierte mein Handy.
    »Wo bleibst du?«
    »Ich steh vor der Tür.«
    »Dann komm doch rein.«
    »Wie?«
    »Tür auf, Arno rein,

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