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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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einen Spinner aus dem Forum zu widerlegen! Im Jahr 2010 tauchen solche Sachen immer noch am Rande der wissenschaftlichen Welt auf! Der Blödsinn ist offensichtlich nicht totzukriegen, vermehrt sich im Internet wie Bakterien. Ich find’ das super!«
    »Wild.«
    »Guter Stoff?«
    »Sowohl als auch.« Der Joint zog mächtig rein, aber die Neuigkeiten waren ein wenig harmlos. Momentan hatte ich ganz andere Probleme als ein paar Internetfuzzis. »Weißt du, Shahin, die Leute glauben den größten Blödsinn, man muss ihn nur laut aussprechen.«
    »Hat schon der Führer gesagt.«
    »Was??«
    »Die Leute glauben eher eine große Lüge als eine kleine Wahrheit. Das ist noch nicht alles. Ich hab mich da gleich angemeldet und mitdiskutiert. Da geht es nicht nur um die Hohlwelttheorie, die ganze Sache mit der Antarktis wird auch behandelt. Außerdem …«, Shahin nahm noch einen Zug, »geht’s da um Alchemie.«
    »Alchemie?«
    »Ja, genau.«
    »Du meinst, da gibt es Leute, die Blei in Gold verwandeln wollen?«
    »Metaphorisch schon.«
    »Die Welt ist voller Spinner.«
    »Nein, nicht ganz. Wien ist voller Spinner.«
    »Ich weiß: Du bist schon zehn Jahre hier und schüttelst noch immer täglich den Kopf.«
    »So hab ich das gar nicht gemeint.« Shahin schenkte nach und machte sich daran, einen zweiten zu bauen. Mir kribbelte es schon in den Füßen, die Farben draußen in der Sonne hatten noch mal eine Stufe an Intensität gewonnen und das Blut rauschte in meinen Ohren. Gegessen hatte ich auch noch nichts. Vernünftig sein kann jeder, dachte ich mir, und nahm noch einen Schluck Mojito.
    »Wir sollten nachfüllen. Im Kühlschrank hab ich noch mehr vom Pfefferminzsaft.«
    »Tu das.« Shahin stand auf und ging hinein. Ich räkelte mich auf der Schaukel und stöpselte meinen iPod ein. Bis Shahin zurückkam, ginge sich sicher ein Song aus. Jetzt konnte mir nur eine helfen. Big Mama.
    Gemeinsam mit Lightnin’Johnson hatte sie in den 60ern das Album Mighty Crazy aufgenommen. Leider bis auf den heutigen Tag nur in steinernem Mono erhältlich, doch das tut dem Songmaterial überhaupt keinen Abbruch. Alle Songs sind voll überwältigendem Blues, aber ich hatte maximal für einen Zeit. Meine Wahl fiel auf Big Mamas Hymne Ball’n Chain. Der Song beginnt mit einem ausufernden Solo von Lightnin’, das alles beinhaltet, was den Blues ausmacht. Zarte, kleine Töne ebenso wie das enthemmte Röhren der Verzweiflung, getragen von einem schleppenden Beat, dem die Kanonenkugel anzumerken ist, die er an eiserner Kette hinter sich herzieht. »Sittin by my window, looking out at the rain«, sang Big Mama und schon war ich bei ihr in Texas, in irgendeinem kleinen Knast. Das Chili auf der Pritsche war kalt und scharf und der Marschall hinter seinem Schreibtisch voll wie eine Strandhaubitze. Draußen schlugen schwere Regentropfen auf die staubige Dorfstraße und verwandelten den betonharten Lehm in knietiefen Matsch. Drinnen hatten Big Mama und ich schweren Liebeskummer, aber der Blues half. Der Blues hilft immer.
    Stunden später, als Mama »Thank you« ins Mikro hauchte, kam Shahin aus der Küche zurück, die Thermoskanne frisch gefüllt. Er ließ sich neben mir auf der Hollywoodschaukel nieder, schenkte uns beiden nach. Danach zündete er sich die Tüte an.
    »Wo waren wir?«, fragte Shahin nach dem ersten Zug.
    »Wien ist voller Spinner.«
    »Ach ja, bin seit zehn Jahren hier und immer noch schüttele ich täglich den Kopf.«
    »Spezifischer wolltest du mir was von Alchimisten erzählen.«
    »Ach ja. Das ist so: Ich hab im Internet recherchiert und das Forum gefunden. Da hab ich mich gleich angemeldet. Was die alles posten, das glaubst du nicht. Da gibt’s Threads über diese Nazi-Maschinen, von denen ich dir erzählt habe, mit dem Implosionsantrieb. Diese Typen sitzen zu Hause rum, meistens wohnen sie noch bei Mutti, und schrauben wie verrückt. Dann posten sie das im Internet. Immer so, dass keiner genau weiß, was sie machen, weil sie alle paranoid sind. Alle haben irrsinnige Angst davor, dass ein anderer die Maschine zuerst zum Laufen bringt. Ist das nicht völlig abgefahren?«
    »Schon. Wie die alten Alchimisten.«
    »Genau.«
    »Und weißt du was?«
    »Nein.«
    »Sind alles Wiener. Fast jedenfalls. Ihr Ösis spinnt alle. Ich sag nur: Schwarzenegger, Mozart und Hitler.«
    »Du hast Fritzl vergessen.«
    »Ja, der muss auch auf die Liste.«
    Wir saßen ein wenig da und starrten in die Mittagssonne hinaus.
    »Wie kommst du drauf, dass das

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