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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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immer gesagt. Für mich war es Teil des Rituals gewesen, genauso wie die Frage, warum Uropa nur mehr ein Bein hatte.
    Seit seinem Tod hatte mich die Uhr begleitet. Durch die wilden Jugendjahre, das Studium, ein paar Reisen. Bei allen meinen ersten Malen hatte ich sie am Handgelenk getragen. Beim ersten Bier, dem ersten Joint, dem ersten Konzert, dem ersten Kuss, bei der Matura genauso wie beim Rigorosum. Die erste Nacht in der eigenen Wohnung und die erste Nacht im Gefängnis. Immer war sie dabei gewesen. Und nun war sie kaputt. Den Tag, an dem ich vernünftig würde, hatte sie nicht mehr erlebt. Ich nahm das mitternachtsblaue Lederarmband ab, steckte sie ein und stand auf.
    Nun kam zu den schon genannten Schmerzen körperlicher und seelischer Art noch einer hinzu. Meinem Rücken hatte die Asphaltmassage gar nicht gutgetan. Hinten klackte es seltsam, und dann fuhr mir ein Blitz durch den Brustkorb, der mir den Atem abschnürte. Stocksteif und flach atmend stelzte ich dahin. Durch ein paar Gärten mehr und einige kleine Gässchen kam ich schließlich in die Thaliastraße. Dort brannten schon die Straßenlaternen und ich hielt mich im Schatten. Weißen VW Bus sah ich allerdings keinen. Als dann der 46er hielt, stieg ich ein und steckte den Kopf zwischen die Schultern. Bis zum Ring, von dort dann mit der Straßenbahn zum Marriott.
    In der Lobby machte ich einen seltsamen Eindruck, und da es schon auf halb zwölf zuging, wollten die Spießer Glanicic-Werffel nicht aus dem Bett läuten. Ich war nicht wirklich geduldig, und so bewegte sich die Situation darauf zu, dass schlussendlich die Hotelsecurity gerufen würde und vielleicht auch noch die Polizei. Darauf wollte ich es ankommen lassen, schließlich fiel mir sonst kein guter Platz zum Schlafen ein, und ich wollte nicht irgendwo unter eine Brücke. Nicht ohne alles probiert zu haben.
    Das ›alles‹ schien schon recht aufgebraucht zu sein, als sich von hinten jemand einmischte.
    »Linder, was machen Sie denn hier?« Seltsamerweise klang das überhaupt nicht nach einer Frage, sondern schien eine Feststellung zu sein. Eine recht ungehaltene noch dazu. Trotzdem: Glück, dein Vorname ist Arno.
    »Frau Professor sind gar nicht auf Ihrem Zimmer?« Der Nachtportier schien überrascht. »Sie hätten den Zimmerschlüssel abgeben müssen.«
    Glanicic-Werffel warf dem pickligen Jüngling einen bitterbösen Blick zu, der augenblicklich die Verhältnisse klarstellte. Sie nahm mich an der Schulter und wir gingen zum Lift, oben dann in ihr Zimmer.
    Kaum hatten wir die Zimmertür hinter uns geschlossen, ging’s schon los.
    »Ist Ihnen überhaupt klar, in was für eine Situation Sie mich hier bringen? Tauchen mitten in der Nacht auf, sehen noch mehr nach Penner aus als sonst, wenn das überhaupt noch möglich ist – also Antwort!« Doch dazu ließ sie es gar nicht kommen. »Was ist eigentlich mit Ihrem Gesicht passiert? Aus einem Auto gefallen?«
    »Nein, VW-Bus.«
    »Welcher Idiot fällt aus einem VW-Bus? Blöde Frage, Sie natürlich. Wenn Sie glauben, dass ich Sie jetzt verarzten werde, haben Sie sich geschnitten.« Sie drehte mir die kalte Schulter zu und ging zur Bar. Dort schenkte sie sich aus einer geschliffenen Karaffe eine bernsteinfarbene Flüssigkeit ein, nahm einen Schluck und kam zurück zu mir. Mir bot sie keinen an.
    »Ich krieg nix?«
    »Das müssen Sie sich noch verdienen.« Sie stellte den Drink auf einem niedrigen Glastischchen ab, warf den leichten Mantel über eine Sessellehne und setzte sich. Dabei schlug sie die Beine übereinander, denn auch Damen haben die. In ihrem Fall sogar wunderschöne.
    »Also, ich warte.«
    Da klingelte mein Handy. Besser gesagt, es brummte. Ich fischte es aus meiner Innentasche und sah, dass es Eugen war. Er hatte in den letzten Stunden schon zweimal angerufen, mir war das gar nicht aufgefallen. Gott sei Dank nicht in dem Moment, in dem die Bären an meinem Versteck vorbeigetapst waren.
    »Augenblick«, sagte ich zu Glanicic-Werffel. Wer so weit geht, kann auch noch weiter gehen, also machte ich einen Schritt auf den Tisch zu und kippte mir den Cognac in den Schlund. Er brannte. Mein Magen rebellierte. Schließlich breitete sich eine Wärme aus und alles um mich herum begann ein wenig zu strahlen. Dann nahm ich ab. Ihr Wutschnauben ignorierte ich geflissentlich. Oder tat wenigstens so.
    »Was gibt’s?«
    »Du hetzt mich auf, was rauszufinden, ich tu’s, dann schick ich dir das ganze Zeug und du meldest dich nicht.«
    »Sorry, war

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