Seelensplitter: Thriller (German Edition)
Ich habe blutige Träume. Gute, blutige Träume. Sie waschen den Dreck weg, verstehst du?«
Isabel bläst den Rauch ihrer Zigarette in die Luft und blickt auf den Tauchsieder.
»Hast du eigentlich eine Ahnung, wie lange so ein Gerät hält, bevor es durchbrennt?«
»Isabel, du lässt sie gehen. Hörst du? Wir werden das klären. Oder vergessen, für immer vergessen.«
Isabel gibt einen triumphierenden Aufschrei von sich. Mit einer ausladenden Geste deutet sie auf den Raum. »Ist es nicht schön geworden, unser Kinderzimmer? Ich habe mir so viel Mühe gemacht, und du sagst gar nichts dazu! Du hast keine Ahnung, wie viele Flohmärkte ich abgegrast und wie viele eBay-Seiten ich durchforstet habe. Alles nur für dich. Damit du dich erinnerst.«
»Was ist das hier?«
»Unsere Kindheit, Lina. Und du hast mich gerettet.«
»Ich meine das Ganze hier, dieser Raum.«
»Eine ehemalige Diskothek. Ein schöner Platz zum Spielen. Findest du nicht? Gehört meinem Mann. Es ist schön, reich zu sein. Noch schöner ist es, reich zu bleiben.«
Lina arbeitet weiter an ihren Fesseln, doch sie lassen sich keinen Millimeter lockern.
Isabel wirft ihre Zigarette auf den Boden und den Tauchsieder auf das Bett. Sofort steigt eine kleine Rauchwolke auf.
»Deine Frage«, sagt Lina. »In der Therapie hast du mich immer wieder nach meiner Kindheit gefragt. Warum?«
»Ich wollte wissen, ob du dich erinnerst. Ob sich der Nebel in dir lichtet.«
Isabel nimmt sich eine neue Zigarette. Plötzlich schreit sie: »So kommen wir nicht weiter! Nicht so!«
Sie steht auf, nimmt den Tauchsieder und nähert sich Lina. Sie hält das glühende Gerät ganz nah vor Linas Nase. Es riecht nach Metall und verbranntem Fleisch.
»Glaub mir, Lina, es schmerzt nur am Anfang.«
»Was ist mit der alten Frau? Mit Irene Heise. Unsere falsche Mutter. Warum …«
»Lina, die Polizistin. Sie war nicht sonderlich gesprächig, die Mutter Heise. Aber wer weiß, ob sie nicht irgendwann doch zur Plaudertasche geworden wäre? Wirklich wortkarg ist sie jetzt, hat ihren Frieden mit Gott gemacht, die Hände gefaltet und ist bei Ralf und den Engeln. Mütter sind da oben sicher auch Mangelware. Richtige Mütter, meine ich. Meinst du nicht, Lina?«
Isabels Hand mit dem Tauchsieder schnellt nach vorne und drückt das glühende Gerät gegen Linas Oberarm. Der Schmerz sticht ihr bis ins Hirn. Ohnmächtig werden, denkt sie.
Plötzlich hört sie das Splittern von Holz. Sie sieht uniformierte Männer mit Schusswaffen und spürt, nur wenige Zentimeter von ihrer Kehle entfernt, die glühende Hitze des Tauchsieders. Dann peitschen zwei Schüsse durch den Raum, und um Lina herum wird alles schwarz.
40
W as willst du in Lissabon?«, fragt Che.
»Es ist die äußerste Ecke von Europa«, sagt Lina und sieht auf ihren verbundenen Arm.
»Und das heißt?«
»Dass es mit einer langen Fahrt verbunden ist.«
»Dafür habe ich eigentlich keine Zeit«, sagt Che. »Meine Damen werden mir auf den Kopf steigen.«
»Unsinn«, sagt Lina. »Bewegung ist immer gut. Und ich brauche jemanden, der meinen Koffer trägt.«
»Ach so, ich soll den Kuli machen, was?«
»Außerdem hast du eine Belohnung verdient.«
»Das soll eine Belohnung sein?«, fragt Che.
»Immerhin hast du Isabels vermeintliches Alibi geknackt.«
Che nickt. »Darauf muss man erst mal kommen. Gibt die eigene Hochzeit als Alibi an, spielt ›Braut entführen‹, macht den Entführer besoffen und nutzt die Zeit, um Astrid umzubringen. Das alles, während die Gäste sich schon über die Hochzeitstorte hermachen. Wenn der Typ nicht damit rausgerückt wäre, dass er total besoffen in einem Hotelzimmer gelegen hat und es deshalb nichts war mit dem wasserdichten Alibi, dann hätten wir dich nie gefunden.«
»Du bist wirklich jemand, auf den man sich verlassen kann«, sagt Lina.
»Unsinn. Dass du noch lebst, hast du eigentlich nur Isabels Tochter Annkatrin zu verdanken«, sagt Che.
Che hatte ihr noch im Krankenwagen erzählt, dass Isabels Tochter sich an die leer stehende Diskothek erinnerte, die ihrem Vater gehörte und die als Spekulationsobjekt leer stand. Und dass Isabel dort eine »große Überraschung« für ihren Mann vorbereiten wollte, weshalb niemand den Raum betreten durfte.
»Ich werde sie besuchen«, sagt Lina. »Es gibt so einiges, über das wir reden müssen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Isabel jemals wieder aus der Psychiatrie herauskommen wird«, sagt Che nach einer Pause.
»Glaube ich auch nicht.
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