Seelensplitter: Thriller (German Edition)
Buch.
»Das ist die Niederschrift von der Smaragdenen Felswand. Alte Chinesen. Man versteht es nicht.«
»Du liest ein Buch, das du nicht verstehst?«
»Jedenfalls nicht mit dem normalen Denken. Aber das Reizvolle daran ist, es zu versuchen.«
»Eine schöne Abendbeschäftigung.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagt Che und blickt sie verlegen an. »Das Buch verändert mich. Irgendwie.«
Der Barkeeper balanciert auf einem silbernen Tablett den Whisky und eine Schale mit Nüssen an ihren Tisch. Er stellt das Glas auf eine rote Serviette, verneigt sich leicht und zieht sich wieder zurück.
»Deshalb schaltest du dein Handy aus und bist für niemanden mehr zu erreichen?«
»Entschuldige«, sagt Che. »Ich hätte dran denken sollen, dass du mich erreichen können musst. Aber wenn ich in diesen Klamotten unterwegs bin …«
»Das Outfit passt nicht zu so etwas Modernem wie einem Handy? Ich verstehe.«
»Was gibt es bei dir Neues? Warum bist du hierhergekommen?«
Lina erzählt von der Leiche in ihrem Treppenhaus und von dem Anruf mit der Roboterstimme. Sie gibt den Wortlaut wieder und wiederholt das Kinderlied, das die Stimme ihr vorgesungen hat.
»Mit Messern besteckt?«, fragt Che. Er legt sein Buch, das dem abgegriffenen Einband nach in häufigem Gebrauch ist, auf den Tisch. »Hört sich nach Hass an. Verhöhnt das Opfer, dich und auch das Schwesterlein. Gut möglich, dass Antje Kernel gemeint ist.«
»Sie glaubt doch auch, Opfer einer großen Verschwörung zu sein.«
»Immerhin hat sie dich in ihrer Gewalt gehabt«, erwidert Che.
»Aus reiner Verzweiflung.«
»Nehmen wir mal an, jemand hat es auf Antje Kernel abgesehen.«
»Aber was hat sie damit zu tun? Von Amts wegen wurde auch ihr einfach eine Mutter bescheinigt.«
Auf einmal erklingt Musik. Lina dreht sich um, und der Pianist im schwarzen Anzug nickt ihr freundlich zu, während er einen Swing spielt. Als sie sich Che wieder zuwendet, fragt er: »Sollen wir gehen?«
»Nein!«, sagt Lina. »Das geht in Ordnung, gleich wird Fred Astaire ein wenig steppen und neben uns die Titanic untergehen, wenn Humphrey Bogart uns nicht rettet … oder so.« Linas Handy zeigt den Eingang einer Nachricht an. Sie zieht es aus der Tasche, entschuldigt sich für die Störung der »guten Stimmung« und öffnet die Nachricht.
»Lina, lass die Polizei da raus!«, steht dort, und ein Video ist angehängt.
Sie startet den Film und zerrt plötzlich an Ches Schulter. Der Film zeigt Antje Kernel, die an ein Heizungsrohr gefesselt ist. Ihre Augen sind angstgeweitet, sie versucht trotz eines Knebels zu schreien. Ihre Arme und Hände sind zusätzlich mit Kabelbinder gefesselt. Entsetzt sieht sie auf eine Hand, die in einem Lederhandschuh steckt und langsam näher kommt. Der Zeigefinger taucht in eine Dose mit weißer Creme, wird dann wieder herausgezogen. Der Finger streicht über Antje Kernels Gesicht, auf dem jetzt Blutspritzer erkennbar werden. Antje Kernel schlägt mit den Beinen aus, zuckt in Todesangst mit dem Kopf hin und her. In dem Moment bricht der Film ab.
38
E in Mann betritt Linas Zimmer. Er riecht nach Leder und Benzin. Auf der Stirn hat er ein tätowiertes Spinnennetz, an den Schuhspitzen stählerne Dornen. Er setzt sich auf den Fußboden und streicht sich die strähnigen Haare aus dem Gesicht.
»Na, mein kleines Mädchen?«, sagt der Mann mit den gelben, langen Zähnen. »Spielst du auch immer schön?«
Er zieht seinen Gürtel aus den Schlaufen der Hose und hat plötzlich ein Messer in der Hand. Vorsichtig schneidet er eine goldene Münze von dem Gürtel ab und reicht sie Lina. »Das gehört zu meinem Piratenschatz, meine Kleine. Hat dein Papa selbst in der Südsee gefunden.«
Lina betrachtet die Münze. Ein Adler schwingt sich darauf in die Höhe. Plötzlich hört sie das Keifen einer Frau: »So, du sagst deiner Tochter mal guten Tag. Na wunderbar …«
»Schön drauf aufpassen«, sagt der Mann zu Lina. Dann steht er auf, öffnet das Fenster und fliegt davon.
»Lina … Lina, du musst …«
Lina merkt, dass sie wild mit den Armen rudert. Vor ihr steht Che und sagt: »Ruhig, ganz ruhig, Lina.« Sie sieht sich um und erkennt Ches Wohnung.
»Ich kann nicht mehr!«, sagt sie. Sie denkt an den Traum, der ihr auch jetzt noch sehr realistisch vorkommt. Waren das Fetzen ihrer verschütteten Erinnerungen? Gibt es einen Vater, der sie wirklich besucht hat?
»Hier bist du sicher«, sagt Che und zeigt in seine Küche. »Dahinten steht die Espressomaschine und eine
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