Seelensplitter - Unsterblich wider Willen (German Edition)
etwas Schlafmittel gegeben, damit sich ihr Körper vollständig erholen kann. Wenn sie in ein paar Stunden aufwacht, sollte sie das Bett verlassen können.“
„Das hast du gut gemacht, Renate. Ich danke dir dafür.“
„Da siehst du einmal, was du an mir hast.“
„Das sehe ich doch immer. Lässt du mich und die kleine Parker jetzt bitte für einen Moment allein?“
„Falls du es noch nicht bemerkt hast: sie schläft.“
„Aber das weiß ich doch, Liebes.“
„Na schön, Gregor. Du hast eine halbe Stunde. Aber dann musst du wirklich gehen.“
„Danke, Liebes.“
Schritte, wenige Augenblicke später hörte Melica eine Tür ins Schloss fallen. Stille folgte, kein einziger Atemzug erfüllte die kühle Luft. Melica wartete, Sekunden rannen vorüber, gingen über in Minuten und schwebten fort.
„Ich sitze hier zwar wirklich bequem, aber du darfst trotzdem langsam aufwachen. Natürlich nur, wenn du das möchtest.“
So langsam wurde das wirklich peinlich. War sie tatsächlich eine solch erbärmliche Schauspielerin?
„Wenn es dir lieber ist, kannst du deine Augen auch geschlossen lassen und weiterschlafen. Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich trotzdem hier bliebe und rede? Ich fände es natürlich besser, wenn du mir auch antworten würdest, aber das ist natürlich allein deine Entscheidung. Ich will dich keinesfalls zu etwas zwingen, was dir auf irgendeine Art und Weise missfällt.“
„Genau das tun Sie aber gerade“, brummte Melica und öffnete langsam die Augen.
Ein schmächtiger Mann saß auf dem Stuhl am Fußende ihres Bettes. Er musste schon als Mensch alt gewesen sein, denn sein kurzes, nach oben abstehendes Haar war völlig ergraut. Falten zierten sein hageres Gesicht und tiefe Ringe lagen unter seinen großen, grünen Augen. Und doch…Melica glaubte nicht, dass sie schon einmal jemanden gesehen hatte, in dessen Augen mehr Lebensfreude gestanden hatte als in Gregors.
„Die Offenheit der heutigen Menschen – einfach vorzüglich“, erklärte der Mann und zwinkerte ihr zu. „Noch vor ein paar Jahren hätte ich auf eine solche Antwort lange warten müssen. Die Wahrheit ist eines der Dinge, die ich besonders an den Menschen schätze und es ist bewundernswert, dass du diese Einstellung offenbar beibehalten möchtest. Doch ich will dir einen Rat geben: die Wahrheit wird von Dämonen oft als Beleidigung angesehen. Du solltest also aufpassen, wem gegenüber du deine Meinung so unbedarft äußerst. Jemanden Wichtigen zu verärgern, wäre äußerst ungesund.“
Melica zeigte sich von seiner Rede nur milde beeindruckt. „Und Sie? Sind Sie wichtig?“
Der Mann schmunzelte. „Ich bin nicht bedeutender als jeder andere hier. Habe ich mich eigentlich schon vorgestellt? Du kannst mich Gregor nennen. Und du heißt Melica, nicht wahr?“ Er wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern sagte: „Ein interessanter Name, Melica. Hat er irgendeine besondere Bedeutung?“
„Ich glaube nicht. Meine Eltern waren wahrscheinlich einfach nur der Meinung, der Name klänge erhaben und beeindruckend.“ Sie zuckte die Achseln. „Offenbar haben die beiden schon vor einigen Jahren jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren.“
„Ich habe deine Geschichte gehört“, sagte Gregor nachdenklich. „Von daher ist es nicht verwunderlich, dass du schlecht von deiner Familie denkst. Doch du solltest niemals voreingenommen an eine solche Sache herangehen. Wer weiß? Vielleicht bist du ja letztendlich diejenige, die den Bezug zur Wirklichkeit verloren hat?“
„Meine Mutter interessiert sich mehr für ihre Schuhe als für mich, mein Vater hat mich in all den Jahren nur angesehen, wenn ich irgendetwas angestellt habe und mein Großvater wollte mich umbringen lassen. Klingt das, als wäre ich nicht in der Lage, die Realität zu erfassen?“
Gregor musterte sie nachdenklich. „Ich wollte niemals andeuten, dass du sie nicht siehst. Ich wollte viel eher darauf hinweisen, dass du sie vielleicht nicht verstehst. Die Wirklichkeit hat viele Gesichter, Melica. So wird beispielsweise ein Tal von einem Jäger ganz anders wahrgenommen als von einem Botaniker. Der Jäger sieht Dinge, die der andere niemals bemerken würde und andersherum ist es genauso. Doch trotzdem ist es dasselbe Tal, das die beiden beschreiben. Ist die eine Betrachtung also automatisch falsch?“
„Ich verstehe, was Sie mir sagen wollen“, antwortete Melica unwirsch. „Doch all das hat rein gar nichts mit meiner Familie zu tun.“
„Hat es nicht?
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