Seelensturm
an ihr ausbeißen und Alegra konnte sehr nachtragend sein, egal, welche Mühe sich Amy geben würde. Alegra würde sie spüren lassen, dass sie einen Fehler begangen hatte. »Wir reden später darüber. Ich muss noch ins Arbeitszimmer. Onkel Finley will bestimmt wissen, ob Tom endgültig gegangen ist.« Sie nickte mir noch einmal zu und stieg die Stufen zu unseren Zimmern hinauf.
Im Arbeitszimmer unterhielten sich mein Onkel und Mr. Tramonti. Als ich den Raum betrat, unterbrachen sie das Gespräch sofort und schwiegen. Onkel Finley stand von seinem Sessel auf und kam mir entgegen.
»Jade! Was hat Tom gesagt?« Er führte mich zum Sofa und setzte sich neben mich und nahm mitfühlend meine Hand.
»Er ist fort«, sagte ich tonlos.
Er nickte, presste seine Lippen fest zusammen und sah mich mitleidig an. »Und wie geht es dir jetzt?«
Hastig stand ich auf. »Wie soll es mir schon gehen? Er wird nie wieder kommen. Er war mein bester Freund, Onkel Finley. Du selbst weißt, wie er zu Amy und mir stand.« Meine Stimme war brüchig und heißer. Tapfer schluckte ich und hatte mich sofort wieder im Griff.
»Es tut mir leid, Mädchen. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, ihn sonst zu schützen. Es war für ihn ganz bestimmt das Beste so.«
Ich lief zum Fenster und starrte hinaus. Es fiel mir schwer, meine Verzweiflung und Enttäuschung nicht an jemandem auszulassen. Und schon gar nicht an Onkel Finley, der nur das Beste für uns wollte. Er konnte ja schließlich nichts dafür. Aber wer dann?
»Warum ist das so? Ich meine, warum kann man Roy Morgion nicht das Handwerk legen? Es wäre doch ganz einfach! Irgendjemand geht mit der ganzen Sache an die Öffentlichkeit, die Polizei nimmt ihn fest und dann bekommt er sein Urteil.«
Vico Tramonti und Onkel Finley grinsten über meine naive Idee. »Wenn das so einfach wäre, Jade, dann könnten alle Illustris ein schönes Leben führen. Doch leider sieht die Realität anders aus«, sagte Mr. Tramonti. »Zuerst ist das Problem, dass es keine Beweise gibt, und zum anderen muss das Geheimnis der Illustris gewahrt werden. Es gibt zu viele Menschen, die sich daraus Macht und Geld erhoffen.«
Im Arbeitszimmer war es still geworden. Onkel Finley schenkte an seiner Bar Whiskey in zwei Gläser, reichte eines davon Vico. Kurz klirrten die Gläser, bevor er sein Glas in einem Zug leerte.
»Wir wissen genau, was Morgion getan hat und auch weiter tun wird. Wir planen, ihn aufzuhalten, doch das ist alles nicht so einfach«, sagte Onkel Finley, setzte sich auf seinen Lederstuhl und starrte in das leere Glas.
»Von fast 144 Illustris leben nur noch 16. Das heißt, vorgestern war das noch die Zahl, die Vico mir mitteilte.«
»Dann gibt es noch mehr junge Mädchen mit dem gleichen Schicksal wie Amy?«, fragte ich erstaunt. »Wo sind die anderen Illustris?«
»Einige befinden sich in unserer Obhut und von den anderen wissen wir nichts. Wenn in den Nachrichten von einem jungen Opfer gesprochen wird, dem man den Kopf abgetrennt hat, gehen wir davon aus, dass es sich um eine Illustris handelte. Die meisten Mädchen verstecken sich oder führen ein völlig normales Leben, bis die Taluris sie aufspüren und töten.«
Vico schob seine Kugelbrille höher auf die Nase, während Onkel Finley aufstand und ein weiteres Mal zu der kleinen Bar lief. Doch diesmal nahm er gleich die ganze Flasche mit, füllte Vicos Glas noch einmal auf und schenkte sich selbst nach. Zwei Schlücke später tat der Alkohol seine Wirkung und mein Onkel entspannte sich allmählich. Seine Wangen färbten sich rosa. Er lehnte sich zurück und zog an einer Zigarre. Der Rauch breitete sich aus und hüllte ihn ein.
»Morgion sieht eine Gefahr in den Illustris. Er ist ein brillanter Forscher und Wissenschaftler. Er hat die Taluris erschaffen und Gott allein weiß, wozu er noch fähig ist. Erstens, hat er die Taluris so gedrillt, dass sie die Illustris mit bloßem Auge erkennen können, zweitens sind sie unsagbar stark und drittens einfach nur kaltblütig und skrupellos«, berichtete er und blies den Rauch in die Luft.
»Daher denke ich nach wie vor, dass wir von hier verschwinden sollten, solange die Taluris nicht angreifen. Es gibt bestimmt ein Plätzchen für uns, wo wir unbemerkt ein paar weitere Jahre leben könnten. Meinst du nicht?«
»Um dann wieder entdeckt zu werden? Jedes Mal, wenn man euch aufspürt, ist das ein Risiko«, meinte Vico und nippte an seinem Glas.
»Immer noch besser, als hier auf den Tod zu warten,
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