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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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werden wir vor Gericht noch brauchen.»
    Sie hatten kaum an die Tür geklopft, da öffnete Veronica ihnen schon. Sie sah blass und angespannt aus, und Ashworth musste an das Foto denken, das Christopher Eliot ihnen in seinem Büro gezeigt hatte. Die Strenge war ganz aus ihrem Gesicht verschwunden, und sie war wieder eine verletzliche junge Frau. Sie trug eine Regenjacke und Gummistiefel.
    «Bitte entschuldigen Sie, Inspector, aber ich wollte gerade los.»
    «Wir müssen mit Ihnen reden.» Vera ging an ihr vorbei und in die Küche, als wäre es ihr Zuhause und nicht Veronicas. Ashworth ging hinterher. Als Veronica zögerte, blaffte Vera sie an: «Na los! Ich hab’s eilig.»
    Dann saßen sie am Küchentisch, Vera und Veronica einander gegenüber, Ashworth am Kopfende, das Notizbuch diskret auf dem Schoß. Veronica ließ die Jacke von den Schultern gleiten, behielt die Gummistiefel aber an.
    «Wo halten Sie Connie Masters versteckt?»
    «Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.»
    «Erzählen Sie mir keinen Scheiß, Lady. Man hat Connies Wagen auf dem Parkplatz vor der Firma Ihres Mannes gefunden. Ich will wissen, wo die beiden sind. Die Kleine muss doch schon total verängstigt sein.»
    Veronica schwieg. Sie starrte mit überheblicher, unbeteiligter Miene in den Garten.
    «Ich weiß, dass Sie den Nissan da abgestellt haben, und das kann ich auch beweisen, wenn’s sein muss. Wir rufen bei jedem Taxiunternehmen im Tyne Valley an, dann finden wir denjenigen schon, der Sie dort abgeholt und zurück nach Barnard Bridge gefahren hat. Ihren Mann konnten Sie ja schließlich nicht bitten, Sie mitzunehmen, oder? Der hätte am Ende noch Fragen gestellt.»
    Die Frau schwieg immer noch beharrlich. Aber Ashworth sah, dass die weiße Hand, die auf dem Tisch lag, zitterte. Bald bricht sie zusammen, dachte er.
    Vera beugte sich vor, und als sie wieder sprach, klang ihre Stimme völlig verändert. So leise, dass Ashworth am anderen Tischende sie kaum verstehen konnte. «Erzählen Sie mir von Ihrem Kind, Veronica. Von Ihrem ersten Kind. Erzählen Sie mir von Matilda.»
    Veronica sagte keinen Ton, doch ihre Augen standen voller Tränen. Sie blinzelte, und die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Ashworth fiel auf, dass sie nicht geschminkt war; vielleicht sah sie ja deshalb so verändert aus.
    «Wie alt waren Sie, als Sie Matilda bekommen haben, Veronica? Das steht in den Akten. Den Akten vom Sozialamt. Ich kann es herauskriegen.»
    Oh, das hat sie schon herausbekommen, dachte Ashworth. Darum ging’s also in dem Anruf eben.
    «Fünfzehn», sagte Veronica. «Ich war fünfzehn.»
    «Damals war es noch etwas anderes, wenn man als Teenager schwanger wurde, nicht wahr? Ein Makel. Vor allem für eine Familie wie Ihre. Erzählen Sie mir davon.»
    «Der Vater des Kindes war älter als ich», sagte sie. «Mechaniker. Hatte ein großes Motorrad und Lederklamotten, und ich habe ihn für den tollsten Mann auf Erden gehalten. Ich habe ihm gesagt, ich wäre siebzehn, und als er dann herausfand, wie alt ich wirklich war, ist er ganz schön erschrocken.» Sie lachte so dünn und unsicher auf, dass Ashworth am liebsten geweint hätte. «Er wollte mich heiraten, sobald ich alt genug dazu war. Aber das kam für meine Familie natürlich nicht in Frage. Denken Sie nur, was das für eine Schande gewesen wäre.»
    «Schlimm genug, dass sie ihr Vermögen verloren hatten», murmelte Vera. «Den guten Namen konnten sie jetzt nicht auch noch verlieren.»
    «Wie auch immer», sagte Veronica, «es hätte sowieso nicht gehalten. Was das betrifft, hatten sie recht.» Einen Moment lang saßen sie schweigend da, und Ashworth konnte den angeschwollenen Fluss hören, der sich über die Felsblöcke wälzte und unter der Brücke schäumte.
    Veronica sprach weiter, ihre Stimme war jetzt ganz ruhig. «Bis ich merkte, was los war, und den Mut fand, mit meinen Eltern zu sprechen, war es für eine Abtreibung schon zu spät. Ich musste das Kind bekommen. Alle waren furchtbar nett zu mir. Meine Eltern haben ihm die Schuld gegeben und hätten auch Anzeige bei der Polizei erstattet, aber dann hätten es alle erfahren, und den Gedanken konnten sie nicht ertragen. Sie haben mich behandelt wie eine Kranke. Als könnte ich keine eigenen Entscheidungen mehr treffen.»
    «Und dann haben sie Sie zu Freunden oben an der Grenze zu Schottland geschickt.»
    Veronica blickte hoch. «Das wissen Sie?»
    «Christopher hat uns gesagt, dass Sie eine Zeitlang dort oben als Au-pair gearbeitet

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