Seelentod
haben.»
Veronica schrak zusammen. «Christopher weiß nichts davon!»
«Vielleicht hätten Sie es ihm erzählen sollen», sagte Vera. «Vielleicht hätte es ihm ja nichts ausgemacht.»
Veronica schüttelte den Kopf.
«Nun denn», sagte Vera. «Geplant war jedenfalls, dass das Kind zur Adoption freigegeben werden sollte. Stimmt das?»
«Wenigstens haben mir alle gesagt, dass das das Beste wäre.»
«Aber Sie fanden das nicht.»
«Nach der Geburt habe ich nicht zugelassen, dass sie sie mir wegnehmen.» Über Veronicas Gesicht huschte ein Lächeln. «Damals war ich auch schon furchtbar stur. Ich habe sie bei mir behalten und gestillt. Ich habe mich ziemlich gut um sie gekümmert.»
«Aber am Ende haben Ihre Eltern Sie doch noch überredet?»
«Sie haben gesagt, es wäre das Beste für die Kleine. Es würde so viele Paare geben, die sich ein eigenes Kind wünschten. Vater
und
Mutter, die sich richtig um sie kümmern könnten. Und ich würde mein altes Leben zurückbekommen.»
«Aber sie ist nie adoptiert worden, oder? Man hat sie in Pflege gegeben, aber offiziell adoptiert worden ist sie nicht. Wieso nicht?»
«Es gibt da so ein Verfahren», sagte Veronica. «Das läuft übers Gericht. Da wird dann eine Betreuerin bestellt, die dafür sorgen soll, dass die Interessen des Kindes gewahrt werden. Eine Formalität. Im Normalfall.»
«In Ihrem Fall aber nicht?»
«Die Betreuerin ist zu uns nach Hause gekommen. Da war Matilda schon fast anderthalb. Weil ich mein Kind nicht sofort freigegeben hatte, war alles viel komplizierter geworden, und das Verfahren dauerte länger. Es war alles sehr unerfreulich. Matilda war bei einer Pflegefamilie untergebracht, die sie gern adoptiert hätte. Sie war ganz und gar nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte – die Betreuerin, meine ich. Ich hatte eine alte Gouvernante erwartet. ‹Betreuerin›, dabei musste ich ans Armenhaus denken. Aber es war eine ganz junge Frau. Eher in meinem Alter als in dem meiner Eltern. Sie hat die gleichen Klamotten angehabt wie ich. Sie war die Erste, mit der ich wirklich über meine Kleine reden konnte.»
Ashworth bemerkte, wie Vera verstohlen auf die Küchenuhr sah. Sie dachte an Connie Masters und
deren
Kleine, daran, wie die Zeit verstrich. Aber wenn man hörte, wie seine Chefin mit Veronica sprach, könnte man meinen, sie hätten alle Zeit der Welt.
«Und diese Betreuerin hat Sie dann auf den Gedanken gebracht, dass Sie selbst für Ihr Kind sorgen könnten?»
«Gar nicht mal. Sie hat mich gefragt, ob ich bereit wäre, das Formular zu unterzeichnen. Das Formular, mit dem ich einer Adoption zustimme. Als ich gezögert habe, hat sie mir erklärt, welche Möglichkeiten es sonst noch gibt. Wenn Matilda nur in Pflege gegeben wird und nicht adoptiert, hat sie gesagt, könnte ich mit ihr in Verbindung bleiben. Und vielleicht könnte ich sie dann sogar eines Tages zurückbekommen.»
«Also haben Sie sich geweigert, das Formular zu unterzeichnen. Ich wette, Ihre Eltern waren entzückt darüber …»
«Sie waren hellauf entsetzt und haben gesagt, das wäre das Selbstsüchtigste, was ich je in meinem Leben getan hätte.» Veronica sah Vera fest in die Augen. «Und natürlich hatten sie recht. Die Familie, bei der Matilda untergebracht war, hat die Unsicherheit, ob sie sie nun adoptieren können oder nicht, nicht ausgehalten. Sie haben sie woanders hingegeben. Als sie dreieinhalb war, habe ich die Einverständniserklärung unterzeichnet, aber da war es zu spät. Sie ist nie adoptiert worden. In ihrer ganzen Kindheit hat sie nie ein beständiges Zuhause gehabt. Und das war alles meine Schuld.»
«Wohl eher die Schuld dieser verdammt barmherzigen Sozialbetreuerin, die Ihnen ausgeredet hat, die Erklärung zu unterzeichnen!»
Ashworth dachte, dass seine Chefin nun ihre übliche Tirade gegen Sozialarbeiter vom Stapel lassen würde, doch es gelang ihr, sich zurückzuhalten.
«Matilda hat Sie doch besucht», sagte Vera stattdessen. «In der Zeit, als Sie mit der Entscheidung gekämpft haben. Sie erinnert sich daran.»
«Wirklich?», fragte Veronica, und Ashworth hätte nicht sagen können, ob diese Neuigkeit sie erschreckte oder erfreute. «Sie war noch so klein. Ich hätte nicht gedacht, dass sie sich erinnern würde. Ich weiß natürlich noch jede Einzelheit. Was sie anhatte, was sie gesagt hat. Sie war so klein. So niedlich. Und brav. Ein folgsames kleines Mädchen.»
So folgsam, dass sie später alles getan hat, was ihr die Männer befohlen
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