Seelentod
sagte Vera und genoss den melodramatischen Augenblick. «Mord ist so dringend.»
«Wir haben Ihnen alles gesagt, was wir über die arme Jenny wissen.» Das «arm» fügte sie wohl nur ein, weil Hannah mit am Tisch saß. Dabei kam es Vera so vor, als hätte das Mädchen noch gar nicht richtig mitbekommen, dass sie überhaupt da waren.
«Es hat noch einen Todesfall gegeben.» Schließlich erntete Vera die Reaktion, die sie erhofft hatte. Sogar Hannah sah auf, mit verschwommenem Blick. Ashworths Handy klingelte und verdarb den Moment. Vera funkelte ihn an, als er aus der Küche ging, um den Anruf entgegenzunehmen.
«Wer ist denn noch umgebracht worden?» Veronica hatte die Hände flach auf den Tisch gelegt und sich halb erhoben.
«Ein Student namens Danny Shaw.»
Schweigen. Wieder ließ niemand erkennen, ob ihm der Name etwas sagte.
Vera beugte sich über den Tisch zu Hannah. «Sie sind mit ihm zur Schule gegangen, Herzchen.» Sie sprach so leise, dass die anderen sich anstrengen mussten, um sie zu verstehen. «Können Sie uns etwas über ihn erzählen?»
Hannah strich sich das Haar aus dem Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren. «Er war älter als ich.»
«Das stimmt.»
«Als ich den Abschluss der Sekundarstufe gemacht habe, war er schon in der Oberstufe. Manchmal sind wir zusammen Schulbus gefahren.» Plötzlich überzog ein strahlendes Lächeln ihr Gesicht. «Er wollte mit mir ausgehen.»
«Und, sind Sie mit ihm ausgegangen?»
«Ein paar Mal.»
Vera wünschte, Ashworth wäre noch in der Küche. Sie musste die Augen jetzt überall haben. Gerade schaute sie zu Simon Eliot hinüber. Hatte er von dieser Verbindung gewusst? Gehörte das zu den Dingen, über die junge Verliebte redeten, wenn sie im Frühling Hand in Hand Landstraßen entlangspazierten? War er eifersüchtig gewesen, oder hatten die Einzelheiten über verflossene Freunde das eigene Liebesleben nur gewürzt?
Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder Hannah zuwandte und erneut das Lächeln auf dem Gesicht des Mädchens sah, dachte Vera, dass sie und Danny wohl zusammen gewesen waren. Aber sie konnte einfach nicht erkennen, was Simon davon hielt. Er hatte den Arm um Hannah gelegt, und seine ganze Sorge schien nur ihr zu gelten.
Die nächste Frage richtete Vera an den jungen Mann. «Haben Sie Danny gekannt? Sie sind zwar auf verschiedene Schulen gegangen, waren aber etwa im gleichen Alter.»
«Ja, ich habe ihn gekannt. Ich bin etwas älter, aber wir haben gemeinsame Freunde gehabt und sind auf die gleichen Feten gegangen. Gut befreundet waren wir aber nicht.»
«Haben Sie ihn während dieser Ferien gesehen?»
Simon zögerte. Weil er versuchte, sich zu erinnern, oder weil er etwas zu verbergen hatte?
«Einmal vielleicht. Vor ein paar Wochen, in einem Pub in Hexham.» Er drehte sich zu Hannah um. «Erinnerst du dich, mein Schatz? Du bist doch dabei gewesen.»
«Ja», sagte sie sofort. «Ja, natürlich.» Aber Hannah hätte wohl alles gesagt, um ihm eine Freude zu machen, dachte Vera.
«Warum sind Sie bloß ein paar Mal mit Danny ausgegangen?», fragte Vera sie. Hannah sah so zerbrechlich aus, dass Vera nicht sicher war, ob sie es schaffen würde, selbst eine so einfache Frage wie diese zu beantworten.
«Außen hui, innen pfui», sagte Hannah. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie diese Phrase benutzte. Vielleicht hatte sie Danny Simon gegenüber so beschrieben. «Erst fand ich ihn toll, aber dann habe ich erkannt, dass er ein arroganter kleiner Scheißer ist.»
«Und dann haben Sie ihm den Laufpass gegeben?»
«Ja.» Wieder blitzte ihr Lächeln auf. «Ich glaube, das war eine ganz neue Erfahrung für ihn.»
«Ist er jemals Ihrer Mutter begegnet?»
Vera stellte die Frage in so sanftem Ton, wie sie nur konnte, spürte aber dennoch, wie die Erinnerung dem Mädchen einen schmerzhaften Stich versetzte.
«Einmal. Mindestens einmal. Mum hat ihn einmal sonntags zum Essen eingeladen.»
«Und, wie lief’s?»
«Es war ziemlich grauenvoll.» Hannah schnitt eine Grimasse. «Kennen Sie das, wenn man jemanden auf einmal durch die Augen von wem anders betrachtet? Ich war auf Danny hereingefallen. Er hat mir imponiert mit seinem Gerede, seinen Träumen und Zukunftsplänen. Das Gleiche hat er dann bei Mum versucht, aber sie konnte er nicht beeindrucken. Sie war total nett und taktvoll zu ihm, doch ich habe genau gesehen, dass sie ihn nicht ausstehen kann.»
«Und deshalb haben Sie ihn in die Wüste geschickt?»
«Ich glaube schon. Nicht,
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