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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Schatten, und einen Moment lang sah sie sehr jung aus, fast schon kokett. «Was ist dann Ihre Theorie, Joe? Wo liege ich falsch?»
    «Ich glaube, dass Jenny Lister von jemandem aus ihrem engeren Umkreis umgebracht worden ist», sagte Joe. Er hatte nur ein Bier getrunken, aber das verlieh ihm genug Selbstvertrauen, um nun eine Theorie in den Raum zu stellen, ohne sie vorher zu durchdenken. Sie war ihm während Veras Monolog durch den Kopf geschossen. «Das Willows hat der Mörder gewählt, um uns auf eine falsche Fährte zu locken. Niemand würde sich seinen Arbeitsplatz aussuchen, um einen Mord zu begehen, es sei denn, man bringt jemanden im Affekt um. Deshalb glaube ich, dass es jemand aus Jenny Listers Umfeld in Barnard Bridge war. Immerhin ist dort auch ihre Tasche gefunden worden.»
    Er hatte erwartet, auf Hohn und Spott zu stoßen, zu hören zu bekommen, dass er zu viele altmodische Krimis lese, aber sie nahm seine These ernst. «Nun, das grenzt das Feld der Verdächtigen ein. Zählen Sie Hannah auch dazu?»
    Das verwirrte ihn. «Nein! Na ja, vielleicht.»
    «Wir haben nur ihr Wort, dass sie an dem Morgen nicht mit ihrer Mutter zum Schwimmen gegangen ist», sagte Vera. «Im Fitness-Club hat keiner das Mädchen gesehen, aber das hat nichts zu sagen. Jenny könnte ihre Karte benutzt haben, um Hannah durchzulassen. So was habe ich schon beobachtet.»
    «Und wie wäre Hannah nach Barnard Bridge zurückgekommen?», fragte Joe. «Listers Auto stand noch beim Willows, und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hätte sie eine Ewigkeit gebraucht. Da wäre sie zu Fuß noch schneller gewesen.»
    «Vielleicht hat Simon Eliot sie ja aufgelesen. Sie hätten es sicher zusammen durchgezogen. Wie auch immer es vor sich gegangen ist, ohne ihn hätte sie es nie getan.»
    «Und ihr Motiv?» Joe konnte nicht glauben, dass sie das ernsthaft in Betracht zogen. Er stellte sich Hannah Lister so vor, wie Holly sie beschrieben hatte, betäubt vor Kummer und Schock. Aber vielleicht wäre einem ja genau so zumute, wenn man die eigene Mutter umgebracht hätte.
    «Wir wissen, dass Jenny nicht gerade erfreut über die geplante Hochzeit war und sie gebeten hat, zu warten. Diese Beziehung ist so intensiv.» Vera runzelte die Stirn. «Man spürt, dass die beiden ein bisschen verrückt sind. Wenn Jenny nun was gegen Simon in der Hand gehabt hätte – womit sie ihn zwingen konnte, das Mädchen fallenzulassen –, wäre Hannah durchgedreht. Buchstäblich.» Vera verengte die Augen zu Schlitzen und malte die Szene so aus, dass auch Joe sie vor sich sah. «Sie sind zusammen im Dampfbad. Draußen hört man den Lärm vom Pool, aber da drinnen sind die beiden allein, abgeschnitten vom Rest der Welt. Halbnackt. Das führt zu Vertraulichkeiten und ernsthaften Gesprächen. Man kann sich nicht verstecken. Wenn Jenny dem Mädchen nun klargemacht hat, dass die Hochzeit unter keinen Umständen stattfinden wird, traue ich Hannah schon zu, dass sie durchdreht und ihre Mutter umbringt. Und dann ruft sie Simon an und bringt ihn dazu, ihr aus der Patsche zu helfen.»
    «Und Danny Shaw?»
    «Die gleiche Theorie wie bei Morgan. Er war da, hat gesehen, was passiert ist, und dann versucht, die beiden zu erpressen.» Unvermittelt sah sie auf. «Wir wissen immer noch nicht, ob er und Hannah sich von der Schule her kannten. Aber ich denke, dass er sie mit Sicherheit wiedererkannt hätte. So viele junge Leute gibt es nicht in dem Tal.»
    «Wieso hätte Hannah Jennys Tasche in der Nähe von Connies Cottage wegwerfen sollen?»
    Plötzlich lachte Vera laut auf. «Das weiß der Himmel. Um uns auf eine falsche Fährte zu locken? Im Ernst, ich glaube kein Wort davon. Hannah hat ihre Mutter auf gar keinen Fall umgebracht. Man muss sie nur sehen, dann weiß man, dass sie wirklich trauert. Wir sind hier im Land der Märchen, mein Hübscher. Im Land der Phantastereien.»
    «Und was ist mit dem Rest der Eliot-Familie?»
    Vera gab keine Antwort. Sie ging zum Fenster und sah auf das Tal hinab, dann schwankte sie unsicher die Treppe hoch, auf die Toilette. Joe hörte die Spülung in den alten Rohren gurgeln. Er stand ebenfalls auf. Am wolkenlosen Himmel hing der Halbmond. Der Ausblick auf die Lichtpünktchen unten im Tal war schwindelerregend. Als würde man bei Nacht aus einem Flugzeug schauen. Durch das Fenster konnte er die Kälte spüren. Vera kam zurück.
    «Die Eliots», sagte sie, als hätte sie das Zimmer gar nicht verlassen, «sind keine Gutsherren. Haben keine nennenswerten

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