Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
Fluss ertrunken. Hat unten im Sand in der Nähe von Connies Haus gespielt, ist unter die Brücke gelaufen und in den Fluss gefallen. Veronica war zwar da, aber Simon, der etwas älter war, auch. Er war auf die Straße gelaufen, und sie ist ihm hinterher, weil sie Angst hatte, er könnte in ein Auto rennen. Als sie wieder zurückkam, lag der Kleine mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Sie hat versucht, ihn wiederzubeleben, aber vergebens.»
    «Die arme Frau.» Das ließ Vera erschüttert innehalten. «Die arme, arme Frau.» Vera versuchte, sich vorzustellen, was eine solche Schuld in einem anzurichten vermochte. Wie konnten die Eliots immer noch in dem Haus da wohnen, von dem aus sie jeden Tag den Ort sahen, an dem ihr Sohn ertrunken war? Die Erinnerung musste sich in Veronicas Seele gefressen und ihr für alle Ewigkeiten einen unsäglichen Schock versetzt haben. Ihre Erziehung hatte sie bestimmt davon abgehalten, sich Hilfe zu suchen. Psychologische Betreuung war für sie sicherlich keine Option. Und mit ihren Freundinnen besaufen konnte sie sich auch nicht. Es galt, Haltung zu bewahren; das Leben musste weitergehen. Oder hatte sich das am Ende als unmöglich herausgestellt?
    Und dann war Connie Masters ins Dorf gezogen: noch eine Frau, die zugelassen hatte, dass ein Kind ertrinkt.
    Und was hatte der Unfall in Simon angerichtet? In dem Sohn, der seine Mutter abgelenkt und damit indirekt den Tod seines Bruders verursacht hatte? Hatte man ihm je erzählt, welche Rolle er in der Tragödie gespielt hatte?
    Vera merkte, dass sie den Tränen nahe war. Aber sie verspürte auch Erregung. Vielleicht war dies ja der ersehnte Durchbruch in dem Fall. Auch wenn Veronica Connie für Elias Jones’ Tod verantwortlich machte, gab sie vielleicht am Ende doch Jenny Lister die Schuld. Hatte sie, indem sie die Sozialarbeiterin umbrachte, eine Erlösung vom Trauma des Ertrinkungstods ihres eigenen Kindes gefunden?
    Nein, dachte Vera. Das wirkliche Leben ist anders. Sie hatte noch nie viel von dem ganzen Psychogequatsche gehalten, und der Tod eines fremden Kindes machte eine Frau nicht zur Mörderin. Veronica hatte sicher immer nur daran gedacht, dass ihr eigener Sohn ertrunken war.
    Dennoch spürte Vera, dass sie sich schrittchenweise auf eine Lösung zubewegte. Die Eliots verbargen etwas. Wenn Connie Masters Danny Shaw als den Mann identifizieren konnte, der beim Cottage gewesen war, hätten sie eine konkrete Verbindung zwischen Shaw und den Eliots hergestellt. Sie schluckte den letzten Bissen ihres Brötchens hinunter, nahm noch einen Schluck aus der Tasse, ließ einen Zehn-Pfund-Schein auf dem Tisch liegen und rannte fast aus dem Café. An der Tür blieb sie nur kurz stehen, um sicherzugehen, dass Ashworth ihr auch folgte.
    Aber als sie bei Connie ankamen, lag das Cottage verlassen da, und Connies Wagen war auch weg. Sie klopften an die Tür, obwohl sie wussten, dass niemand aufmachen würde. Vera suchte unter dem Blumentopf neben dem Eingang. Kein zweiter Schlüssel. Sie ging ums Haus herum und rollte die Mülltonne beiseite, die gleich vor der Küche stand. Auf dem Boden lag ein Schlüssel, und sie schlossen auf und gingen hinein.
    «Ist das legal, was wir hier tun?» Ashworth wusste, dass Vera sich nicht darum scherte, aber er wollte doch wenigstens darauf hingewiesen haben.
    «Wir machen uns Sorgen, dass Connie etwas zugestoßen ist», sagte Vera im Brustton vorgeblicher Besorgnis. «Es ist unsere Pflicht, hier nach dem Rechten zu sehen.»
    Im Haus sah es aus, als wäre Connie überstürzt aufgebrochen. In der Spüle standen schmutzige Schüsseln, und der Wasserkessel war noch warm. Die Betten im ersten Stock waren beide nicht gemacht.
    «Vielleicht bringt sie die Kleine nur zur Spielgruppe?»
    Ashworth schüttelte den Kopf. «Heute ist keine Gruppe.»
    «Einkaufen?»
    «Sie hat gewusst, dass wir mit den Fotos von Shaw und Morgan vorbeikommen wollen. Und sie hätte doch gesehen, dass unsere Autos draußen stehen.»
    «Also ist sie weggelaufen», sagte Vera. «Aber wieso?»
    Sie hob den Telefonhörer im Wohnzimmer ab und wählte die 1474, um zurückzuverfolgen, wer zuletzt hier angerufen hatte. Eine weibliche Stimme teilte ihr wie von weit entfernt mit, dass der Anrufer seine Nummer unterdrückt hatte.
    «Vielleicht», sagte Vera und starrte auf den Fluss hinaus, in dem Patrick Eliot ertrunken war, «vielleicht hat jemand ihr ja solche Angst eingejagt, dass sie abgehauen ist.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel

Weitere Kostenlose Bücher