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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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Chess hatte diese Macht, und Lupita stahl sie ihr. Diese Frau griff tatsächlich in sie hinein, saugte an ihrer Kraft - und lenkte sie um, lenkte sie verdammt noch mal in ihren Zauberspruch ...
    Chess setzte sich zur Wehr, pumpte ihre ganze Energie in ihre Schilde, aber sie fühlte sich wie ein Kind, das sich beim Tauziehen mit einem Riesen abmüht. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, die Energie strömte aus ihr hinaus und sie konnte ... konnte sie nicht festhalten ... ihr Magen rebellierte, ihre Augenlider flatterten.
    Die Krähe schlug mit den Flügeln, tänzelte einen Moment auf der Sitzstange auf und ab und flog dann auf. Schneller und immer schneller kreiste sie durch den Raum. Chess kribbelte und stach es auf der tätowierten Haut, eine heftige Warnung, die ihr nichts mehr nützte ...
    Lupitas kehliger Singsang ging in Kreischen über. Wie durch einen trüben Schleier sah Chess die Frau aus dem Stuhl hochkommen. Die schwarz umrandeten Augen schreckgeweitet, starrte sie auf einen blassen Schatten in einer Kellerecke, der langsam Gestalt annahm.
    Die schattenhafte Gestalt von Annabeth Whitman.
    Chess biss so heftig die Zähne zusammen, dass sie fürchtete, sie könnten bersten, und ließ die Hand von Annabeth’ Mutter los. Am Mikrorekorder befand sich ein Alarmknopf, nur für den Fall, dass ihre Kollegen von der Kirche nicht bereits unterwegs waren. Sie musste hier raus und Hilfe holen. Ihre Kräfte waren schon zu sehr geschwächt, als dass sie noch hoffen konnte, den Geist zu besiegen, und wenn nicht bald jemand etwas unternahm, würde Annabeth sie alle zusammen umbringen.
    Sie fand den Knopf, drückte ihn und drückte weiter, während der bleiche Schemen wuchs und einen Kopf bekam. Lange weiße Auswüchse formten sich zu Armen; der Geist verdichtete sich und bildete mit jedem von Chess’ panischen Herzschlägen klarere Umrisse aus. Sie wusste nicht genau, wie viele Geister sie im Laufe ihres Lebens schon gesehen hatte, aber die Furcht hörte nie auf, ließ niemals nach. Ein Geist - einer wie dieser hier, der seinem Gefängnis unter der Erde, den Wächtern der Kirche und ihren Riten entkommen war - war wie eine schussbereite Waffe, ein geschärftes Schwert in den Händen eines Wahnsinnigen.
    Und Chess war zusammen mit all den anderen in diesem verdammten Höllenloch die Erste, die den Zorn dieser Waffe zu spüren bekäme.
    Außer ihr und Lupita schien niemand zu begreifen, in welcher Gefahr sie waren. Mrs Whitman war aufgestanden und streckte flehend die Hände aus. »Annabeth ... mein Liebling ... wir vermissen dich so, wir wollten ...«
    Annabeth’ Gesichtszüge waren jetzt klar zu erkennen, durchscheinend, aber vollständig. Sie war ein wunderschönes Mädchen gewesen. Langes hellblondes Haar fiel ihr über die Schultern; die Umrisse ihres Körpers, die sich schwach unter dem Kleid abzeichneten, waren zierlich und sanft gerundet.
    Ihre Augen weiteten sich. Chess hielt für einen fieberhaften, hoffnungsvollen Moment den Atem an. Nicht jeder Geist war bösartig, nicht jeder. Nur in neunundneunzig Prozent der Fälle ... Es gab eine winzige Chance, dass Annabeth ...
    Keine Chance. Die unschuldigen Augen verengten sich, die schönen Lippen zogen sich zähnefletschend zurück. Chess hatte kaum Zeit, den Mund zu öffnen, als Annabeth sich auch schon auf das blutige Messer auf dem Tisch stürzte.
    In ihrer Handtasche hatte Chess Friedhofserde und Kräuter dabei. Damit ließ sich kein vollständiges Ritual durchführen, und selbst mit den nötigen Zutaten hätte sie gar nicht die Kraft dazu gehabt, aber blockieren konnte sie den Geist, verhindern, dass er jemandem etwas antat.
    Ihre Finger gehorchten ihr noch. Sie fummelte am Reißverschluss herum, zerrte ihn auf. Während sie Annabeth im Auge behielt, schob sie die Hand in die Tasche, vorbei an der Pillenschachtel, dem Kompass, den Taschentüchern, dem Bargeld, den Wischtüchern und all dem anderen Mist, bis sie endlich ganz am Boden ihr Zubehör ertastete.
    Madame Lupita schrie und versuchte davonzulaufen, aber ihr Gewicht und ihre Vorliebe für dramatische Auftritte wurden ihr zum Verhängnis. Sie stolperte über etwas - vermutlich über den Saum ihrer albernen Robe — und ging mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden.
    Chess rann der Schweiß in die Augen, und Magensäure stieg ihr in die Speiseröhre. Scheiße, gleich würde ihr übel werden. Außerdem hatte sie stechende Bauchschmerzen, als habe ihr jemand ein Messer hineingerammt und herumgedreht. Das

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