Seepest
Sie waren mit ihren blinkenden
Blaulichtern schwerlich zu übersehen. »Hoffentlich haben sie einen Taucher
dabei«, knurrte er. »Ich muss endlich wissen, wie’s da unten aussieht.«
Kaum hatte Horvath den Wehren die genaue Lage
durchgegeben, als der Ausruf eines Kollegen ihre Aufmerksamkeit auf das Radar
lenkte.
»Seht euch das an!« Der am Schirm stehende Beamte wies
auf einen schwachen, unscheinbaren Lichtpunkt. »Könnte sich um ein kleines
Motorboot handeln«, erläuterte er, »Entfernung dreihundert. Läuft direkt auf
uns zu … Jetzt drosseln sie die Geschwindigkeit.«
»Genaue Position?«
Der Radarmann hatte sie kaum genannt, da schwenkte der
Suchscheinwerfer auch schon in die angegebene Richtung und erfasste, etwa
zweihundert Meter voraus, ein kleines Kabinenboot. Dessen Skipper schien für
Begrüßungen dieser Art wenig übrigzuhaben. Abrupt riss er das Steuer herum und
versuchte, sich aus dem Staub zu machen.
»Den schnappen wir uns«, ordnete Horvath an. »Volle
Fahrt voraus. Wenn wir dran sind, steuerbord längsseits gehen.«
»Volle Fahrt voraus, steuerbord längsseits gehen«,
wiederholte der Mann am Steuer.
Sie waren bereits bis auf zwanzig, dreißig Meter
heran, da flammten an Bord des Kabinenbootes mehrere Blitze auf. »Das darf doch
nicht wahr sein! Die machen Bilder von uns«, schimpfte der aufgebrachte
Horvath. Wütend hob er sein Megafon und wies die Verfolgten an, beizudrehen.
Tatsächlich verlor das Boot dann auch recht schnell an Fahrt, bis es
schließlich auf der Stelle tanzte.
Während der blau-weiße Kreuzer der Wasserschutzpolizei
sich längsseits legte, folgte Wolf, dem nichts Gutes schwante, dem
Schiffsführer an die Steuerbordreling. Trotz ihrer wasserdichten Jacke und der
über den Kopf gezogenen Kapuze glaubte er, die Gestalt hinter der Kamera
erkannt zu haben. Er sollte recht behalten.
»Vor Ihnen ist man wohl nirgends sicher?«, schnauzte
er aufgebracht, als er Karin Winter ins Gesicht blickte.
»So einfach lasse ich mich nicht abwimmeln, Herr Wolf,
das sollten Sie wissen«, antwortete sie wenig beeindruckt und versuchte, ihre
Digitalkamera unauffällig in einer Tasche verschwinden zu lassen.
»Wer Sie auch sein mögen: Ich muss Sie auffordern,
diesen Seeabschnitt umgehend zu verlassen«, machte Horvath dem Geplänkel ein
Ende.
»Und warum sollten wir das tun? Das hier ist ein
freies Gewässer«, begehrte der Mann hinter dem Steuer auf, der sich bisher im
Hintergrund gehalten hatte.
»Ja, ja, und wir leben in einem freien Land … Erzählen
Sie mir was Neues.«
»Das beantwortet meine Frage nicht.«
»Dann will ich Ihnen eine klare Antwort geben: Weil
aus ermittlungstaktischen Gründen jeder öffentliche Bootsverkehr in einem
Radius von zwei Kilometern ab sofort untersagt ist.«
»Was ermitteln Sie denn?«, wollte Karin Winter wissen
und setzte ein entwaffnendes Lächeln auf.
Horvath zeigte jedoch wenig Neigung, sich auf eine
Diskussion einzulassen. »Tut mir leid. Wenn Sie nicht sofort von hier
verschwinden, lasse ich Sie nach …«, er warf einen kurzen Blick auf das
Kennzeichen des Bootes, »nach Konstanz zurückeskortieren. Außerdem mache ich
Sie darauf aufmerksam, dass Ihnen Ihre Bootslizenz entzogen werden kann. Also?«
»Ja, ja, ist ja gut, wir beugen uns der Gewalt. Ich
prophezeie Ihnen aber schon jetzt, dass Sie einige Bootslizenzen werden
entziehen müssen, meine Herren. Wir sind nur so eine Art Vorhut. Bald werden
meine Kollegen von Presse, Funk und Fernsehen hier einfallen.«
Wolf, der Karin Winter nur allzu gut kannte, wurde
hellhörig. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich habe inzwischen mit unserer Nachtredaktion
telefoniert. Kurz vor Mitternacht ging dort die Meldung ein, vor der Mainau sei
ein größeres Boot gesunken, präziser gesagt: explodiert. Und Sie glauben doch
nicht im Ernst, dass der ›Seekurier‹ als einziger Medienbetrieb etwas davon
erfahren hat?«
Schlagartig war Wolfs Müdigkeit wie weggeblasen,
wenigstens für den Moment. Wenn die Winter recht behielt, wären die Augen der
gesamten Bodenseeregion schon bald auf seinen Fall und die
Ermittlungsfortschritte gerichtet.
Das konnte ja heiter werden.
2
Anders als die Kollegen von der
Wasserschutzpolizei, die ihrem Dienstplan entsprechend den regulären
Nachtdienst absolvierten, und anders als die Männer auf den Feuerwehrbooten,
die vor ihrem Einsatz wenigstens eine Mütze voll Schlaf hatten nehmen können,
war Wolf seit nunmehr zwanzig Stunden auf den Beinen – von
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