Seepest
handliche
Stücke schnitten.
»Was nehmen wir?«, fragte Henning, nachdem er
ausgiebig die Karte studiert hatte.
»Das volle Programm.«
»Hä?«
»Das kennst du nicht? Ein Gedicht, sag ich dir. Du
bekommst nacheinander vierzehn verschiedene Dinnele gereicht, in den
unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen: Speck, Zwiebeln, Spinat, Käse, Äpfel,
Lauch, Knoblauch und was weiß ich nicht noch alles.«
»Hör schon auf!«, lachte Henning. »Als Vielfraß kenn
ich dich gar nicht.«
»Probier’s halt, du schaffst das schon.«
»Also gut. Aber ich möchte mit dem Essen noch warten,
bis Arne bei uns ist.«
»Dann lass uns zunächst einen Krug von dem selbst
gekelterten Most bestellen … und nach dem Essen genehmigen wir uns ein Cöxchen,
das hilft bei der Verdauung.«
»Cöxchen?«
»So heißt hier der Apfelbrand aus Cox Orange.«
»Aha!«
Auf diese lapidare Antwort folgte eine Schweigeminute,
in der sie die angenehm warme, in Schummerlicht gehaltene Gaststube auf sich
wirken ließen und mit der Nase den aus der Küche aufsteigenden Wohlgerüchen
nachschnupperten.
Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten,
räusperte sich Wolf. »Also, was unseren Zwist betrifft, Henning –«
»Nein, lass mich zuerst –«
»Nichts da, ich war es, der sich bockig benommen hat.«
»Da will ich dir allerdings nicht widersprechen,
Vater.« Henning lächelte ironisch.
»Für mich war es ein Riesenschock, als ich von
Veronikas Tod erfuhr, weißt du?«
»Denkst du etwa, uns hat das kaltgelassen?«, gab
Henning spitz zurück.
»Entschuldige, so war das nicht gemeint. Außerdem
stimmt es auch nicht ganz, es ist anders, als ich’s gesagt hab. Viel mehr
schockiert hat mich nämlich das, was zuvor passierte …«
»Du meinst, dass ich Veronika Knall auf Fall verlassen
und dann auch noch die Kinder zu mir geholt habe? Ist es das?«
»Ja. Kannst du das verstehen?«
»Hast du dich jemals gefragt, warum? Ist dir auch nur
einmal in den Sinn gekommen, dass es dafür gute Gründe geben könnte, dass das
so etwas wie eine Notbremse war? Nein, hast du nicht. Du warst so in deinem
Schmerz über Mutters Tod gefangen, dass wir dich gar nicht wirklich
interessiert haben … war es nicht so?«
Die Getränke kamen; danach hingen sie eine Weile ihren
Gedanken nach.
»Du hast recht, ich war ein verdammter Egoist«, begann
Wolf aufs Neue. Er sprach leise und stockend, als weile er mit den Gedanken in
der Vergangenheit. »Muttis Tod hat mich furchtbar mitgenommen, du kannst dir
das nicht vorstellen. Eine Zeit lang habe ich sogar gedacht, ohne sie nicht
mehr weiterleben zu können. Und doch … es ist wirklich so, wie der Volksmund
sagt: Die Zeit heilt Wunden. Und vielleicht, wer weiß, heilt sie ja auch unsere Wunden?« Er zwang sich, die trüben Gedanken zu
verscheuchen, und griff nach seinem Glas. Bereits nach dem ersten Schluck
verzog er das Gesicht. »Puh … ich glaub, für heute ist das nicht ganz das
Richtige.«
Immerhin, Henning lachte über seine unfreiwilligen
Grimassen.
»Willst du mir erzählen, was damals wirklich passiert
ist, Henning?«, schlug Wolf vor und fummelte verlegen an seinem Barett herum.
»Gleich. Erst will ich wissen, ob der Most wirklich so
übel schmeckt.« Henning setzte das Glas an und nahm einen Schluck, wälzte ihn
nach Art der Weinkenner im Mund hin und her und schluckte ihn scheinbar
genussvoll hinunter, krampfhaft bemüht, seine Gesichtszüge im Zaum zu halten.
»Jooo«, versicherte er gedehnt, »schmeckt irgendwie … streng, würde ich sagen.«
Er konnte sich das Lachen nur mühsam verkneifen. »Vielleicht sollten wir uns
lieber einen ordentlichen Rotwein kommen lassen, was meinst du?«
»Du hast recht.« Wolf winkte der Bedienung.
»Tja, was ist passiert damals?«, begann Henning, als
das Mädchen wieder weg war. »Eigentlich ist das schnell erzählt. Veronika war
krank. Dachten wir zumindest. Depressionen! Natürlich war sie in ärztlicher
Behandlung. Eines Tages riet mir unser Hausarzt, bei ihr ein Drogenscreening
machen zu lassen. Ich dachte, ich hör nicht recht. Wieso Drogenscreening?
Veronika und Drogen? Was sollte der Blödsinn? Kurz darauf kam die bittere
Wahrheit ans Licht. Es war wie ein Schlag in die Magengrube: Veronika nahm tatsächlich
Drogen, und das nicht nur gelegentlich … nein, sie war bereits hochgradig
süchtig! Und ich … ich habe das nicht bemerkt, habe bis zuletzt an die Mär von
den Depressionen geglaubt! Kurz darauf wurde der Chef des Fitnessstudios, in
dem sie
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