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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Vergiss ihn nicht«, grinste sie. »Fühlst du dich einem kleinen Spaziergang die Straße lang gewachsen?«
    Er musterte die Tür. Im Heim herrschte nur etwa ein Viertel der Standardschwerkraft, dennoch schien der Ausgang kilometerweit entfernt zu sein. Doch draußen war es heller Tag, auch wenn das Licht, das hereindrang, grau war. Wenn er den Anschein erwecken wollte, sich beruflich in diesem Habitat aufzuhalten, würde er sich verdächtig machen, wenn er sein Zimmer nicht verließ.
    Â»Wir brauchen auch Papiere für meine Männer«, sagte er. »Wo hast du die hier eigentlich her?« Er machte vorsichtig einen Schritt auf die Tür zu.
    Â»Von meinem Kontaktmann«, antwortete sie. Sie fasste ihn mit ihren kühlen Fingern am Arm, um ihn zu
stützen. »Demselben, der mir auch die Flügel besorgt hat. Wir werden ihn übrigens aufsuchen – sobald wir den Botschafter gefunden haben.«
    Sie glaubte also, das Programm bestimmen zu können ; sollte sie doch – zunächst. Dann ging ihm auf, was sie eben gesagt hatte. »Richard? Du kannst ihn nicht finden? … Heißt das, Darius hast du gefunden?«
    Â» Er hat an der vereinbarten Stelle gewartet.« Sie verdrehte die Augen. »Richard war sogar noch früher aufgestanden als ich, und ist irgendwohin davongestolpert. Wahrscheinlich kann er inzwischen nicht mehr stehen und liegt in einer Gasse herum – wir sollten uns also beeilen.«
    Chaison stieß mit einem Fluch die Tür auf. Ein wolkenverhangener Himmel und der morgendliche Berufsverkehr im Habitat erwarteten ihn.
    Songly hatte schätzungsweise sieben- bis achttausend Einwohner. Die meisten Wohnungen befanden sich an oder über einem dreißig Meter breiten Holzreifen von etwa zwei Kilometern Durchmesser. An vier Punkten dieses Reifens ragten Trauben von Düsentriebwerken in den Luftstrom über der Radfelge. Chaison hörte sie röhren, wenn sie ansprangen, und spürte den Zug, den sie ausübten, wenn sie das Habitat so schnell drehten, dass auf dem Reifen Schwerkraft entstand.
    Die Holzstraße, an der das Heim lag, wölbte sich vor und hinter ihm nach oben und endete in beiden Richtungen nach etwa einhundert Metern an einem winzigen Geländer. Dadurch entstand der Eindruck, als liege das Heim am tiefsten Punkt eines riesigen Bogens aus Holz und Seilen. Chaison ging zu einer solchen Reling, streckte sich und fasste nach einem straffen Seil, das im
steten Rotationswind summte. Als er nun hinabschaute, sah er so tief unter ihm, dass ihm fast schwindlig wurde, die Dächer von Häusern und anderen Gebäuden, die sich an die Innenfläche des schmalen Holzstreifens klammerten. Die Menschen hatten hier in die Höhe gebaut, weil es keine Möglichkeit gab, sich in der Horizontalen auszubreiten. Songlys Hauptstraße lag zwischen den Gebäuden wie auf dem Grund einer Spalte im Dunkeln.
    Außerdem wurde sie überschattet von Teilen anderer Straßen, die in verschiedenen Höhen in der Seilbespannung zwischen den Speichen hingen. Keine davon bildete einen vollständigen Kreis, sie beschrieben nur unterschiedlich lange Bögen. Diese oberen Straßen enthielten Bauernmärkte, Vogelkolonien unter Mikroschwerkraft, Gärten und Bike-Lager. Sie waren durch Leitern, Treppen und Kabinenfahrstühle miteinander, mit der Hauptstraße und mit der Achse des Rades verbunden.
    Die Herbergen für Reisende befanden sich auf einer solchen Straße, die in schwindelnder Höhe über dem Hauptreifen in der Zone mit einem Viertel Ge hing.
    Chaison und Antaea suchten sich einen Kabinenfahrstuhl und waren wenig später auf dem Weg nach unten zu Songlys Hauptstraße. Chaison wusste nicht so recht, wie er sich die Falkenformation eigentlich vorgestellt hatte, wahrscheinlich sehr viel düsterer und reglementierter, und einiges wies auch tatsächlich in diese Richtung. Die Menschen trugen so etwas wie eine Uniform aus einheitlich grauem Stoff, bestehend aus Hemd, Jacke und Hosen, nur mit unterschiedlichen Kragenaufschlägen je nach ihrer gesellschaftlichen Funktion.
Anderseits hatten nahezu alle wie zum Trotz dieser tristen Kluft mit Farbtupfern oder bunten Tüchern eine individuelle Note verliehen.
    Rein äußerlich war Songly ein Habitat wie jedes andere. Ringsum war die Luft erfüllt von den üblichen frei schwebenden Gebäuden, Frachtnetzen mit Vorräten, gigantischen Wasser- und Abfallkugeln

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