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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Fluch begann er sich zu überschlagen.
    Jemand packte ihn an der Schulter und stoppte die Drehung. Antaea kam in Sicht. Ihre Schwingen hoben sich als zwei magentarote Striche vor dem dämmrigen Himmel ab. Sie runzelte die Stirn und wich seinem Blick aus. »Der Urlaub ist zu Ende, Chaison«, sagte sie leise.
    Zunächst drängten sich ihm Proteste und Vorwürfe auf die Lippen. Doch er schwieg, denn mit einem Mal erkannte er seinen eigenen Fehler: Er hatte geglaubt, alle Motive Antaea Argyres zu kennen, und darin hatte er sich getäuscht.
    Â»Wo sind wir?«, stieß er schließlich hervor.
    Â»Wir sind vorzeitig ausgestiegen«, antwortete sie. »Hoffentlich merken es die anderen nicht so bald, sonst finden sie uns womöglich noch. Keine Sorge, auch wir sind auf dem Weg nach Rush. Allerdings zu anderen Leuten.«
    Alles war vergeblich gewesen. Seine Sorgen, die Hoffnung auf Heimkehr; der Ausbruch, die Flucht vor Kestrel, die Verteidigung Stoneclouds – Antaea hatte alles weggewischt. Er war seiner Heimat so nahe und würde sie doch nicht sehen; diese Frau, zu der er so zaghaft Vertrauen und Zuneigung entwickelt hatte,
hatte ihm alles genommen. Die Erkenntnis schmeckte wie Asche. Er konnte nicht sprechen.
    Antaea seufzte tief. »Willst du nicht einmal wissen, warum? Ich werde es dir zeigen.« Sie nahm eine Kette ab, die sie um den Hals trug, und öffnete im schwindenden Sonnenlicht ein Medaillon. Es enthielt die Miniatur einer jungen Frau, hübsch, aber in keiner Weise außergewöhnlich. Sie hatte die gleiche Hautfarbe wie Antaea … und die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen.
    Â»Meine Schwester Telen«, erklärte Antaea. »So sah sie vor zwei Jahren aus.« Sie hantierte an dem Medaillon herum, schob das Porträt zur Seite und brachte ein zweites Bild zum Vorschein.
    Â»Und so sieht meine Schwester jetzt aus. Genauer gesagt, sah sie zwei Wochen nach dem Ausfall so aus.« Sie hielt Chaison das Medaillon so lange vor die Augen, bis er nicht mehr anders konnte, als zu begreifen. Diesmal wich sie seinem Blick nicht aus.
    Â»Wer hat sie in seiner Gewalt?«
    Â»Das«, sagte sie bedrückt, »ist eigentlich das Schlimmste überhaupt. Sie ist in der Hand von Freunden . Jedenfalls von Männern und Frauen, die ich für Freunde hielt … Komm, wir müssen den freien Luftraum verlassen, bevor Darius und Richard sehen, dass wir nicht mehr da sind.«
    Â»Sie werden es spüren«, verbesserte er, als sie ihn am Hemdkragen packte. »Der Kat wird sich anders verhalten.«
    Â»Ich dachte, sie wären vielleicht zu müde, um das zu bemerken.« Sie trat in die Fußbügel ihrer Schwingen und flatterte mit ihm im Schlepptau auf eine pfirsichfarbene Wolkenbank zu.

    Beim Fliegen ordnete sie offenbar ihre Gedanken. »Als ich Virga als Gefangenen seiner eigenen Technologie bezeichnete, war das meine ehrliche Meinung«, sagte sie. »Wir haben einen zu hohen Preis dafür bezahlt, uns gegen die Künstliche Natur abzuschotten; damit verzichten wir darauf, die Menschen vor Räubern, Aufwieglern und … Piloten zu bewahren. Und vor Piraten. Ich dachte – zwei oder drei Sekunden lang –, du könntest diese Ansicht teilen und uns den Schlüssel freiwillig aushändigen. Ich hatte vergessen, dass Slipstreams Sonne eine Piratensonne ist. Ihr seid nicht besser als die Falken oder die Gretel.«
    Â»Du kannst doch gar nicht wissen, wie ich mich entschieden hätte.«
    Â»Ich weiß, dass du nicht vorhattest, den Schlüssel aus der Hand zu geben. Aber …« Sie schwieg lange. Währenddessen drangen sie in die kühlen Randbezirke der Wolke ein. »Tatsache ist, dass ich ihn auch nicht abgegeben hätte«, gestand sie endlich. »Jedenfalls nicht an diese Leute.«
    Â»Sie sind nicht vom Heimatschutz?«
    Â»O doch! Es sind Angehörige des Heimatschutzes, die Virga wie ich schon einmal verlassen und mit eigenen Augen gesehen haben, was möglich ist. Die nicht damit einverstanden sind, dass die Organisation auf politische und technische Neutralität setzt. Wir – sie – glauben, das Volk von Virga verdiene das Recht, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Der Heimatschutz ist arrogant und dient letztlich nur den herrschenden Mächten innerhalb Virgas. Und ich wollte nicht den Piraten dienen.«
    Chaison erwiderte nichts. Sie verband sich und ihn in der silbrigen Dämmerung mit einem

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