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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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verständnisvoll. »Ich habe nichts gegen gewöhnliche Menschen«, erklärte er uns. »Bei denen sieht die Sache allerdings anders aus.« Und damit waren natürlich die Bullen gemeint.
    Die Geheimpolizisten hatten mit jener Märtyrerbegeisterung kapituliert, wie sie manche Menschen an den Tag legen, wenn sie glauben, ein hehres Schicksal zu erfüllen. Doch Kestrel war dafür nicht zu haben. »Sie müssen entschuldigen«, erklärte er seinen Häschern.
»Ich bin hier fremd. Ich wollte diese Verbrecher« – er zeigte auf Richard und mich – »nach Slipstream zurückbringen, um sie auszuliefern. Und dabei bin ich in Ihren Krieg hineingeraten.«
    Der Gretel-Kapitän hatte sich nachdenklich den Bart gestrichen und von Kestrel zu uns und wieder zurück geschaut. »Das sollen Verbrecher sein?« Er hatte sich an die übrigen Flüchtlinge gewandt. »Sind sie das?«
    Ein schallendes »Nein!« war die Antwort.
    So kam es, dass Kestrel Darius’ und Richards Gefangener wurde. Die Gretel behielten die Bullen, ließen aber den Rest der Flüchtlinge laufen, und die Blumenboote schlichen langsam durch den überfüllten Luftraum nach Stonecloud zurück. Als sie dort eintrafen, hatte die Schlacht gegen Neverland gerade begonnen.
    Â 
    Chaison schwelgte im Licht seiner Heimat. Jede Sonne hatte ihr eigenes Spektrum, das sich ein klein wenig von allen anderen unterschied, und er war in diesem Licht aufgewachsen, es hatte in sein Kinderzimmer geschienen, auf seine Schulbücher, auf das Gesicht seiner ersten Liebe. Es war ihm unauslöschlich vertraut, sogar in dieser Entfernung, die es rötete und verwischte.
    Auf der kleinen Leiter zwischen den Rümpfen des Katamarans blieb er kurz stehen. Sie hatten dem einzigen Triebwerk des Boots eine Menge abverlangt, um den schwachen Punkten der Navigationsfeuer zu folgen. Am frühen Morgen hatte Maverys Sonne den fernen Himmel erleuchtet, ein volles Viertel war in ihrem Schein purpurn verblasst, ein hellerer Bereich im Zentrum wurde von Wolken verdeckt. Maverys Tagphase unterschied sich geringfügig von der von Slipstream,
und als Chaison diesen fernen Schein entdeckte, hatte er zum ersten Mal echte Vorfreude empfunden.
    Nachdem sie nun die Grenze der Heimat erreicht hatten, musste er eine Reihe von schweren Entscheidungen treffen. Zumeist ging es um die politische Lage zu Hause, aber am meisten brannte ihm die Frage auf der Seele, wie er mit Antaea verfahren sollte.
    Er klopfte an die Luke an der zweiten Gondel des Katamarans. »Herein«, kam es von drinnen.
    Acht Stunden zuvor hatte er beobachtet, wie sie hier heraufkletterte. Der Fahrtwind hatte an ihren Kleidern und ihrem Rucksack gerissen, und sie hatte sich an den Leitersprossen festhalten müssen. Chaison war nahe daran gewesen, Darius die Geschwindigkeit drosseln zu lassen, aber sie schossen gerade zwischen Wolkenbänken dahin, die die Navigationsfeuer vollkommen verdeckten, und brauchten ihren Schwung, um eine gerade Linie einzuhalten. Wenn sie jetzt langsamer würden, liefen sie Gefahr, eine Wendung zu fliegen, ohne es zu merken, und dann flögen sie beim nächsten Start womöglich mitten in den Winter hinein. Am Rand der Zivilisation verirrte man sich nur allzu leicht.
    Seit Slipstream in Sichtweite war, konnten sie es ruhiger angehen lassen, und so war der Fahrtwind deutlich schwächer, als Chaison in die zweite Gondel kletterte. Antaea hatte einen Fuß um einen Querbalken gehakt und nähte neue Federn auf eines der Kugellöcher in ihren Schwingen. Weiße Flaumwölkchen umflatterten neugierigen Kobolden gleich ihren Kopf.
    Â»Admiral«, fragte sie sachlich, »sind wir schon da?«
    Â»In Slipstream?« Er deutete mit einer Hand auf das vertraute Licht vor den Bullaugen. »Beinahe. Ich habe
vorhin schon ein paar Pilzfarmen entdeckt.« Sie nickte; eine kleine Pause trat ein, dann sagte er: »Du hast es die ganze Zeit gewusst.«
    Â»Ich wusste von der Trennung und den Unruhen.« Sie nickte. »Ich wusste auch, dass jemand auf dem Weg war, um dich aus dem Gefängnis zu befreien, aber nicht, wer es war, das schwöre ich dir. Loyale Offiziere aus deinem Stab, nehme ich an. Deshalb war ich in der Gegend.«
    Chaison nickte. Er hatte sich längst ausgerechnet, dass Antaea allein unterwegs war, und eine einzelne Person hätte niemals einen derart spektakulären Ausbruch bewerkstelligen

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