Segel der Zeit
können. Er hatte gehofft, sie könnte ihm sagen, wer seine Retter waren, aber er unterstellte ihr nicht, dass sie ihn in diesem Punkt belog.
Sie verzog das Gesicht. »Chaison, muss ich dir wirklich erklären, warum ich diese Tatsachen vor dir verheimlicht habe?«
»Nein«, seufzte er. »Ich bin einfach nur enttäuscht.«
»Wieso?« Ãrgerlich warf sie ihr Nähzeug in einen Beutel. »Du hast mich von Anfang an behandelt, als wäre ich dein Gegner. Ich wollte Informationen von dir, und du hast sie mir verweigert. Warum sollte ich dir entgegenkommen?«
Er zögerte, dann sagte er: »Antaea, von jetzt an ist alles anders.« DrauÃen heulte der Jet auf.
Sie betrachtete finster ihre Schwingen. »Du meinst, wir hatten eine Weile Urlaub von unserer Feindschaft genommen«, sagte sie. »Und jetzt ist der Urlaub vorbei. «
»Feindschaft?« Er zog fragend eine Augenbraue hoch. »So schlimm?«
»Nein, nein, ich meine nicht â¦Â« Sie schüttelte den Kopf. »Bist du herübergekommen, um mich vom Schiff zu werfen? Oder willst du mich nur fesseln wie Kestrel? «
»Ich wollte vernünftig mit dir reden«, erklärte er. »Der Schlüssel zu Candesce existiert auch morgen und nächste Woche noch. Es ist nicht so, als könnte sich dein Traum in einem Monat oder einem Jahr nicht mehr erfüllen. Lass mich nach Hause zurückkehren und tun, was ich tun muss, und wenn das vorbei ist, können wir uns darüber unterhalten, was mit dem Schlüssel geschehen soll. Du, deine Leute und ich.«
»Aha«, sagte sie. Ihr waren die Tränen gekommen, und sie wischte sich wütend über die Augen. »Wenn es so einfach wäre â¦Â« Eine Weile sah sie überallhin, nur nicht in sein Gesicht. Sie schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber dann doch. Endlich: »Es war ein schöner kleiner Urlaub, nicht wahr?«
Er musste lächeln. »Wenn es hart auf hart geht, bist du wirklich stark.« Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, erkannte er, wie sehr man diese Worte missverstehen konnte; und jetzt schaute sie ihm in die Augen und ein Lächeln spielte um ihren Mund â sie hatte offensichtlich den gleichen Gedanken gehabt.
Er hörte sich sagen: »Noch sind wir nicht zu Hause.«
Antaeas riesige Augen wurden noch gröÃer. »Nein, das wohl nicht.« Sie betrachtete ihn nachdenklich. »WeiÃt du, Chaison, es gibt Augenblicke im Leben, da kann man ganz allein entscheiden â und darf man selbst sein.«
»Damals im Wohnheim«, sagte er, »hattest du doch vor, mich zu verführen.« Sie zuckte die Achseln. »Aber
du hast es nicht getan. War das ein solcher Augenblick? «
»Das weiÃt du doch.« Sie zögerte. »Es war das einzige Mal, dass wir aufrichtig zueinander waren, nicht wahr?«
»Und jetzt?«
»Du hast es selbst gesagt. Wir haben zwei Stunden Zeit.«
Sie sah ihn eindringlich an.
Chaison zog sie an sich.
Â
Nachdem sie sich geliebt hatten, schlief Chaison ein. Er war nicht nur körperlich erschöpft, sondern emotional ausgebrannt. Das Brummen des Triebwerks und das leichte Schwanken des Katamarans auf dem Weg durch die Wolken begleiteten seinen Schlaf. Manchmal wähnte er sich zurück auf der Krähe und war darauf gefasst, beim Aufwachen die Geräusche eines Kriegsschiffs im Flug zu hören; dann wieder fürchtete er, in seiner Zelle zu sich zu kommen, und klammerte sich an das Triebwerksgeräusch wie an eine Rettungsleine.
Mit einem Mal war es verstummt, und er schwamm in kalter, böiger Luft. Unwillkürlich breitete er die Arme aus, wie er es oft in der Zelle getan hatte, wenn er im Schlaf von der Wand weggetrieben war. â Jedenfalls versuchte er das; doch seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt und bewegten sich nicht, nur der Wind wehte ihm durch die Finger.
Chaison schlug die Augen auf. Er fiel durch einen Himmel, der gesprenkelt war mit grünen Kugelfarmen. In der Ferne schwebten Häuser mit erleuchteten Fenstern. Vor ihm, in Richtung seines Sturzes, schickte
Slipstreams Sonne sich zur Nachtabschaltung an und wurde zusehends roter. Quer vor seinem Gesicht zog ein langer taubengrauer Kondensstreifen vorbei. Das Schnarren eines abfliegenden Jets wurde immer schwächer.
Er schrie auf und versuchte erneut, die Hände nach vorne zu bringen. Jetzt spürte er die Stricke um seine Handgelenke. Mit einem wilden
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