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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Weile hebelte Antaea mit dem Fingernagel das Porträt aus dem Rahmen. Dahinter befand sich ein anderes Bild, eine Schwarz-Weiß-Fotografie.
    Auch sie zeigte Telen, doch für jemanden, der sie nicht kannte, war das nur schwer ersichtlich. Sie saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne, man hatte ihr die Arme gewaltsam nach hinten gebogen und die Handgelenke zusammengebunden. Die Füße waren ebenfalls gefesselt, und in ihrem Mund steckte ein Stoffknebel. Sie starrte mit flehentlichem Blick in die Kamera.
    Antaea setzte mit zitternden Fingern das ursprüngliche Bild wieder ein. Dann warf sie einen Blick auf die reglose Gestalt auf dem Bett und nickte.
    Sie musste sich jeden Vorteil zunutze machen. Und wenn sie wollte, dass Telen überlebte, durfte sie sich nicht gestatten, für diesen ausländischen Admiral Sympathie zu empfinden.

4
    Chaison fand nur allmählich aus dem Schlaf. An sich hätte er das Gefühl von Freiheit und die Schwerkraft im Rücken genießen müssen, stattdessen drohte er in Traurigkeit und Zweifeln zu versinken. Als seine Lider sich dem Licht öffnen wollten, kniff er sie fest zu und versuchte, diesem Gefühl auf den Grund zu gehen, während seine Augäpfel in der rosaroten Leere hin und her zuckten.
    Dann hatte er es: Vergangene Nacht beim Einschlafen hatte er den Druck der Schwerkraft gespürt und war darüber glücklich gewesen. Jetzt konnte er nur daran denken, dass Venera an seiner Seite gewesen war, als er zum letzten Mal so empfunden hatte.
    Er sah ihr Gesicht vor sich, ihr tapferes Lächeln beim Abschied. Er hatte sich mit der Krähe auf den Weg zur Falkenformation gemacht, ihr Ziel war Candesces loderndes Zentrum gewesen. Als das Radar der Krähe während seines Angriffs auf die Flotte der Falken mehr als zwölf Stunden lang einwandfrei funktionierte, hatte Chaison gewusst, dass es ihr gelungen war, die Erste Sonne zu betreten und den Ausfall herbeizuführen.
    Er schlug die Augen auf und richtete sie auf die Holzdecke der Familienherberge. Ein stetiger Wind rüttelte
an den Fenstern. Er stieß einen langen, schluchzenden Seufzer aus.
    Venera Fanning war mit allen Wassern gewaschen, skrupellos und pragmatisch. In der Hitze des Gefechts hatte sie ohne Zögern Menschen erschossen. Sie hatte sogar mit Piraten um das Leben von Chaisons Männern gefeilscht.
    Dennoch hätte sie nach dem Ausfall nicht nur Candesce, sondern auch den umherstreifenden Schiffen Gehellens entkommen müssen, einer Nation, die einen Preis auf alle Slipstreamer-Köpfe ausgesetzt hatte.
    Schmachtete sie jetzt in einem gehellesischen Gefängnis ? Er hatte den Gedanken all die Monate über verdrängt, doch nun ließ er sich nicht mehr abschütteln.
    Er wälzte sich auf die Seite, stemmte sich zum Sitzen hoch und stand endlich schwankend auf den Beinen.
    Â»Aha!« Antaea verließ gerade die kleine Nasszelle der Suite. Er stutzte, als er sie sah.
    Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt eine bunte Seidenbluse und weite Hosen. Eine große Sonnenbrille mit runden Gläsern verbarg ihre riesigen Augen. Nach der Lederkluft wirkte diese Aufmachung unerwartet feminin.
    Â»Wo haben Sie das her?«
    Antaea neigte den Kopf zur Seite. »Aus meinem Gepäck. Sie sollten sich auch einen Rucksack zulegen. Man fällt auf, wenn man so ganz mit leeren Händen reist.«
    Er schaute auf den tristen Arbeitsanzug hinab, den er sich auf der Farm beschafft hatte: zehenfreie Stiefel, enge, stumpfgraue Drillichhosen und ein ärmelloses
Wildlederhemd. Am Gürtel hingen mehrere Taschen; derzeit waren sie alle noch leer.
    Er kämpfte gegen seine Niedergeschlagenheit an. »Geld«, sagte er langsam. »Einige persönliche Dinge und … Ausweispapiere vermutlich.« Was brauchte man bei den Falken? Er hatte eine vage Vorstellung, dass es sich um eine gigantische Bürokratie handelte, in der man ohne Pass nicht einmal auf die Toilette gehen konnte.
    Antaea hielt ihm ein Bündel entgegen: genau die Papiere von denen er gesprochen hatte. »Schon erledigt«, erklärte sie. »Ich bin seit Stunden auf. Ich dachte mir, Sie würden Ihren Schlaf brauchen.«
    Â»Stimmt, vielen Dank.« Er war etwas verärgert, weil er ihr so viel Vorsprung gelassen hatte, doch er nahm die Papiere, untersuchte sie und schob sie dann in eine der Gürteltaschen: »Denarian. Was ist das für ein Name?«
    Â»Unser Familienname, mein lieber Gemahl .

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