Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
Vom Netzwerk:
und Booten. Die Boote waren die einzige Überraschung: Die Falken galten als düsteres Volk, und so war Chaison nicht auf die leuchtenden Farben ihrer blumenförmigen Luftschiffe vorbereitet. Sie bestanden zumeist nur aus einem großen Korb mit zwei bis fünf großen blütenblattförmigen Schwingen aus Weidengeflecht, die mit Stoff bespannt waren. Die Insassen konnten die Blütenblätter schräg stellen oder auf und ab schwenken. Geflogen wurden diese Boote im Allgemeinen von mehreren Personen, die sich mit dem Rücken gegen den Korbboden stemmten und mit den Füßen gegen die Stängel der Blütenblätter traten. Vom Fahrstuhl aus hatte man den Eindruck, als bewegten sich lebendige, langsam pulsierende Blumen durch Öffnen und Schließen über den Himmel.
    Die Kabine setzte auf, und Chaison taumelte, schier erdrückt von der Schwerkraft, auf die Hauptstraße hinaus. Darius Martor schlurfte aus einer Tür und sah sich so schuldbewusst und verlegen um, wie ein junger Mensch nur sein konnte. Zum Glück wurde er ignoriert ; viele der Passanten waren Tagelöhner oder Studenten und sahen aus wie er, und die meisten anderen waren vermutlich Besucher. Nach dem Frühstück würden sie in Scharen das Rad verlassen und sich auf Farmen, Gießereien, Fischzuchtbetriebe und all die anderen Industrieanlagen
verteilen, die im freien Fall leichter zu betreiben waren als bei Schwerkraft. Manchmal sprangen sie einfach über die Brüstung in die Schwerelosigkeit ; Songly rotierte nur mit etwa hundert Stundenkilometern, so dass die Arbeiter ihre Schwingen entfalten und sich im rauschenden Luftstrom davontragen lassen konnten. Einige junge Leute machten es ebenso – sie wollten allerdings das Habitat nicht verlassen, sondern traten einfach ins Leere, ließen das Rad an sich vorbeirotieren, schnappten sich nach einem Kilometer ein Bungee-Seil und schwangen sich wieder zurück. Im Luftraum um das Habitat wimmelte es nur so von dahinschießenden oder herabstoßenden Gestalten.
    Bald würden Songlys schwerkraftreichste Straßen verlassen sein. Dann wäre Richard leichter zu finden, aber auch die Geheimpolizei hätte es leichter, sie alle zu stellen.
    Zum Glück waren Besucher, die mit der Gravitation zu kämpfen hatten, hier die Regel; viele schleppten sich an Spazierstöcken durch die ungewohnte Schwerkraft. Trotz seiner Ungeduld schlurfte Chaison nur langsam über die Hauptstraße. Antaeas Absätze versanken bei jedem Schritt im Holz, und wenn sie den Fuß wieder hob, gab es ein leises »Plopp«. Darius trat etwa zehn Meter entfernt unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, bis Chaison eine Grimasse schnitt und ihn zu sich winkte.
    Chaison schaute nach beiden Seiten und wandte sich dann nach rechts. »Glaubst du, dass er diese Richtung genommen hat?«, fragte Antaea.
    Â»Es wird ihn abwärts ziehen«, antwortete Chaison achselzuckend. Abwärts war keine Richtung im gewöhnlichen
Sinn: Aber wenn man gegen die Drehrichtung des Habitats ging, wog man etwas weniger und hatte das Gefühl, einen Abhang hinunterzugehen, obwohl die Straße eben war. Aufwärts war immer die Richtung, in die sich das Rad drehte. Man hatte den Eindruck, sich eine Steigung hinaufzukämpfen, daher gab es in vielen Habitaten öffentliche Verkehrsmittel, die nur aufwärts fuhren. Songly war für solche Annehmlichkeiten nicht groß genug. Jedenfalls konnte man davon ausgehen, dass Richard in seinem angeschlagenen Zustand den leichteren Weg gewählt hatte.
    Â»Tut mir leid, dass ich ihn verloren habe, Admiral«, entschuldigte sich Darius. »Wir haben nicht miteinander in einem Raum geschlafen. Wollten kein Aufsehen erregen.«
    Â»Verdammt, du sollst mich doch nicht so nennen.« Chaison konnte sich nur mit Mühe konzentrieren; die Menschenmassen, das Stimmengewirr, die hektischen Gesten und die vielen Zurufe zerrten an seinen Nerven. Er hatte monatelang höchstens zwei Menschen auf einmal gesehen, und selbst vor denen war er zurückgeschreckt. Die Marktstände standen dicht beieinander, vielen diente nur der rotierende blaue Himmel als Rückwand. Er sehnte sich danach, in die Suite zurückzutaumeln und sich auf sein Bett fallen zu lassen. Schon ließ der Gedanke an Richard Reiss in seiner Seele Mordgelüste aufkeimen, als Antaea ihn am Arm fasste und auf etwas zeigte.
    Â»Schau. Die Bullen.«
    Er schauerte

Weitere Kostenlose Bücher