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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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dann hatte er die Strickleiter zum Krähennest erreicht. Seine Muskeln schrien vor Schmerz, bevor er fünf Meter hinter sich gebracht hatte, aber die Bullen waren fett und nicht gewöhnt, ihrer Beute tatsächlich hinterherjagen zu müssen.
    Die Strickleiter schwankte und tanzte hin und her, und der Rotationswind riss an seinen Schwingen, aber sobald er die Dächer unter sich zurückgelassen hatte, war nichts mehr zu sehen. Er schaffte es bis zur Plattform, wälzte sich keuchend darauf und zog sein Schwert. Den ersten Kopf, der sich über die Planken wagte, würde er abhacken.
    Unten wurde hastig beratschlagt, dann scheuchte Kestrels Stimme die Männer beiseite. Chaison sah im Geiste vor sich, wie sie sich hinauslehnten, einen Fuß auf den Sprossen, einen Arm wie ein Tänzer ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten, während Kestrel seinen
Wanst an ihnen vorbei die Sprossen hinaufwuchtete. »Ich bin es, Chaison«, rief er, bevor er seinen Kopf bis zu den Augen durch die Luke schob.
    Â»Was, zum Teufel, sollte das denn bedeuten?«
    Kestrel schnitt eine Grimasse. »Bedauere, mein Alter. Ich muss meine Gastgeber mit meinem … Diensteifer beeindrucken. Ihnen zeigen, dass ich nicht etwa auf deiner Seite stehe, verstehst du?«
    Â»Nein, ich verstehe es nicht.« Chaison stand geduckt, das Schwert immer noch in der Hand. Er hatte den Verdacht, dass die restlichen Bullen sich heimlich an den Speichen nach oben hangelten, um sich dann auf ihn herabfallen zu lassen. An Kestrels Stelle hätte er ihnen diese Anweisung gegeben.
    Â»Was willst du hier, Kestrel? Und warum bist ausgerechnet du gekommen?«
    Der Seneschall zuckte kaum merklich die Achseln. »Willst du etwa den Ahnungslosen spielen, Chaison? Wir wissen doch beide, worum es geht.«
    Chaison zermarterte sich das Gehirn, aber er kam nicht darauf, wovon Kestrel redete. »Ich soll hier hinter Schloss und Riegel gehalten werden, ist es das? Eine Bedingung im Friedensvertrag des Piloten mit den Falken? «
    Kestrel setzte sein bekannt finsteres Gesicht auf. »Etwas mehr Aufrichtigkeit hätte ich doch wohl verdient«, schalt er. »In Rush stehen die Dinge auf Messers Schneide, und du erdreistest dich, den Unwissenden zu spielen? Ich stehe treu zum Piloten, das solltest du eigentlich wissen. Und aus Loyalität bin ich hier; um zu verhindern, dass es dir gelingt, nach Hause zu kommen, Chaison.«

    Chaison blieb der Mund offen stehen. »Aber warum? Und was steht auf Messers Schneide?«
    Kestrel starrte ihn lange an. Dann rief er: »Scheiß drauf! Los!«
    Chaison war bereits auf dem Sprung gewesen. Da er zuvor von oben auf die Plattform geklettert war, hatte er eine gewisse Vorstellung, wo sich die Speichenseile befanden, auch wenn er sie im Nebel nicht sehen konnte. Also entfaltete er seine Schwingen und sprang blind. Für eine Sekunde verschwand die Welt in wirbelndem Grau; dann schwebte die scharfe Silhouette eines Mannes – einer von den Bullen – von vorne auf ihn zu. Der Polizist schwang fluchend seinen Schlagstock, aber sie waren schon aneinander vorbei. Chaison sah das Seil, das er gesucht hatte, und streckte sich danach. Er bekam es mit den Fingerspitzen zu fassen, verlor es wieder, stürzte – und erwischte drei Meter darunter ein anderes Querseil.
    Â»Dein Verrat sitzt tief, Chaison«, hörte er Kestrel ganz in der Nähe rufen. Donnergrollen unterstrich seine Worte. »Der Plan mag noch so raffiniert sein, er wird nicht funktionieren! Das Wetter treibt dich in die Enge, und das weißt du genau.«
    Die straffen Querseile waren immer paarweise gespannt, eines für die Füße, das zweite, eineinhalb Meter darüber, als Handlauf. Chaison schritt rasch über das Fußseil zu einer senkrechten Leine und hangelte sich daran empor. Fünf Meter weiter oben entdeckte er eine weitere Strickleiter, die über mehrere Querseile führte. Er hatte es gerade geschafft, bis zu dieser Leiter zu gelangen und hinaufzusteigen, als auf der Leine unter ihm die ersten schwarzen Gestalten auftauchten.

    Â»Ich habe ihn! Er will nach oben!«
    Chaison fluchte und kletterte schneller, aber er war mit seinen in der Schwerelosigkeit verkümmerten Muskeln am Ende seiner Kräfte. Noch ein bis zwei Minuten, dann hätten sie ihn eingeholt. So wie Kestrel sich angehört hatte, wollte er Chaison Fanning eher töten, als ihn gefangen zu nehmen. Chaison hätte nur gern

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