Segel der Zeit
weiter zusammengedrückt werden konnten â und warten, bis sie mit ihnen ins Tageslicht getragen würden oder bis Rettung käme.
Das Ausmaà der Katastrophe erschien ihm freilich so gewaltig, dass er sich eine Rettung nicht vorstellen konnte.
Chaison hatte während des ganzen Fluges den Magnesium-Scheinwerfer gehütet und immer wieder mit der Hand die lange Dochtschnur nachgeschoben. Doch irgendwann war der Docht zu Ende, und schlieÃlich flackerte die Lampe und erlosch. Nun saÃen sie im Dunkeln.
Antaea stellte mit einem Fluch den Motor ab. Eine Sekunde lang wurde das Echo des ohrenbetäubenden Dröhnens noch hin und her geworfen und spannte unsichtbare Räume auf. Dann war nur noch ein seltsames Seufzen, fast ein Stöhnen zu hören: das Wasser bei der Eroberung des Himmels.
»Das sieht schlecht aus«, bemerkte sie überflüssigerweise. Er spürte, wie sie sich hierhin und dorthin beugte â sicher suchte sie nach irgendeiner Lichtquelle. Er folgte ihren Bewegungen, ohne sie aus seinen Armen zu lassen: Das Universum war geschrumpft auf ihren Körper, der sich gegen ihn presste, und das heiÃe gewölbte Metall zwischen seinen Schenkeln. Wieder erinnerte er sich an seine Zelle, und für einen Moment stieg Panik in ihm auf. Unwillkürlich drückte er Antaea fester an sich.
»Admiral �« Eine Frage, die besorgt klang. Sekundenlang war Chaison verwirrt. Doch gerade als er begriff, dass sie unter seinen Armen kaum noch atmen konnte, fiel ihm etwas ins Auge. Er lieà eine Hand los und zeigte darauf. »Da!«
Er spürte, wie sie nach hinten griff. Ihre Finger strichen über seinen Arm, bis sie seine Hand fanden. Dann
verrenkte sie sich den Hals, bis auch sie den verschwommenen grünen Flecken gefunden hatte. »Ja!« Ohne vorherige Absprache streckten sie sich beide und lieÃen die Beine nach unten hängen, um den Schwerpunkt zu senken und das Bike zu drehen. Dann griff Antaea hinunter und startete.
Chaison lockerte seinen Griff. Vorsichtig drifteten sie näher an den wässrigen Schein heran, der sich langsam zu einer gläsernen Wand verdichtete. Tief im Innern war ein einziger matter Sonnenstrahl gefangen. Er war schräg von unten nach oben gerichtet, und die Quelle schien kilometerweit entfernt zu sein.
Antaea wendete das Bike und drehte vorsichtig das Gas auf. Wenige Meter vor der Wand hielten sie an. »Wie kommen wir da durch?«, fragte sie. »Sieht ziemlich dick aus.«
»Wir könnten schwimmen«, überlegte er. »Es wäre ganz einfach â¦Â« Sie bräuchten nur den Atem anzuhalten und mit Händen und FüÃen zu paddeln.
Antaea schüttelte den Kopf. »Wenn wir das Bike zurücklassen, sitzen wir fest, sobald wir freie Luft erreichen. «
Wenn sie erst an der Oberfläche wären, könnten sie halb im Wasser bleiben und sich mühsam über und um die Hänge und die vielfältigen Windungen der Flut herum kämpfen, bis sie einen Zufluchtsfort oder ein Gerät fänden, um sich in die Lüfte zu erheben. Allerdings musste Chaison eines zugeben: Wenn die Erschöpfung sie übermannte, hätten sie keine andere Wahl, als das Wasser zu verlassen, sonst würden sie von der Oberflächenspannung langsam, aber sicher hineingezogen und müssten ertrinken. Am leeren Himmel
zu stranden wäre kaum besser. »Das Bike brauchen wir«, räumte er ein.
»Wir könnten es vor uns herschieben«, schlug sie vor.
»Ein Stück weit vielleicht. Aber â¦Â«
»Ja â es wäre zu weit ⦠Es sei denn, wir geben uns selbst einen Vorsprung.« Sie verlagerte ihr Gewicht, um das Bike zu wenden, und er folgte unwillkürlich ihrem Beispiel, bevor ihm klar wurde, was sie vorhatte.
»Antaea, warte! Damit könnten wir das Wasser vor uns destabilisieren â eventuelle Ritzen schlieÃen oder es wegschieben.«
»Das Risiko müssen wir eingehen« Sie drehte das Gas auf und flog in die Finsternis hinein.
Chaison biss sich auf die Unterlippe und bemühte sich, den Plan sachlich zu durchdenken. »Nicht zu schnell«, warnte er gleich darauf. »Wenn du zu schnell fliegst, ist die Oberflächenspannung des Wassers wie â¦Â«
»⦠Beton, ich weiÃ, ich weiÃ. Ich habe schon als Kind Flugstunden genommen, Admiral.«
»Ich heiÃe Chaison.«
Sie sah sich nach ihm um. Er konnte ihr Lächeln kaum erkennen.
Weitere Kostenlose Bücher