Segel der Zeit
höhnisch. »Ach wirklich? Und was ist mit den Spitzeln, die du ins Ministerium eingeschleust hast â sogar in den Palast? Sind das etwa Ausgeburten meiner Fantasie?«
»Ach, was das angeht â¦Â« Das waren gar nicht wirklich meine Spitzel, wollte er sagen â aber wie sollte er auch nur ansatzweise erklären, dass seine Frau das Netz aufgebaut und mehrere Jahre lang geleitet hatte, ohne Chaison auch nur davon zu erzählen? Wer Venera näher kannte, würde ihm glauben: Doch Kestrel hatte sie nur flüchtig kennengelernt. In seiner Gegenwart
hatte sie immer die hohlköpfige Hofdame gespielt.
Zur Hölle mit ihr. »Das ist nicht so, wie es aussieht.«
Kestrel schüttelte in gespielter Enttäuschung den Kopf, während seine Männer hinter ihm Stellung bezogen. »Als Nächstes wirst du mir erzählen, dass du auch mit dem Fiasko nichts zu tun hattest, das die Trennung angerichtet hat?«
Chaison starrte ihn mit offenem Mund an. Er war sich unterschwellig bewusst, dass er gerade für jeden Angriff offen war, aber er hatte viel zu viel Mühe, Kestrels Worte zu verarbeiten. »Die Trennung ⦠hat überlebt? «
Sieben Schiffe waren mit ihm in den Winter geflogen, aber eines, die Folterer , war bei einem Piratenangriff unweit von Virgas von Eisbergen bedeckter AuÃenhülle verloren gegangen. Sechs Schiffe hatten das riesige Sargassum Leafâs Choir erreicht, und sechs hatten auch an dem Ãberfall auf die Flotte der Falkenformation teilgenommen. Doch bis zu diesem Moment war Chaison überzeugt gewesen, alle sechs seien bei diesem Angriff zerstört worden.
»Es war raffiniert, dieses Schiff zum Symbol für das Volk zu machen«, hörte er Kestrel sagen. Chaison schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Er verstand immer noch nicht, was der Mann da redete. »Nachdem der Pilot so in aller Ãffentlichkeit unter Druck gesetzt wird«, fuhr Kestrel fort, »kann er es nicht einfach zerstören â er muss es erobern . Und das blockieren deine Freunde in der Flotte. Die Trennung ist wie eine eitrige Wunde im Herzen von Rush. Deine Anhänger warten nur auf deine Rückkehr. Wenn du Rush als
freier Mann betrittst, wird sich die Hälfte der Stadt auf deine Seite schlagen. Betrittst du es aber in Ketten â oder tot â¦Â«
Er griff an, und Chaison blieb keine Zeit mehr zum Nachdenken. Er und Kestrel lieferten sich im Schein der Blitze, unter den schimmernden Wassermassen, die vom Himmel stürzten, begleitet vom Geschrei der Menschen und dem Splittern der eingedrückten Häuserfassaden einen erbitterten Kampf â doch in Gedanken hörte Chaison nur immer wieder Kestrels Worte. Er wich zurück, über hochschnellende Bretter hinweg und eine verformte StraÃe hinauf, die bei jedem Schritt nach unten wegsackte, während Kestrel und seine Schläger mit viel Geschrei versuchten, ihn und Antaea einzukreisen. Chaison tötete einen Mann mit einem Stich in den Hals, sah ihn aber nicht stürzen, denn nun malte der Blitz ein Dutzend Wunderblüten in die Luft, die langsam auf die StraÃe herabschwebten. Die Boote waren eingetroffen.
Weit oben an der Wölbung des Habitats erreichte eine Wasserwand die kippenden Gebäude. Bretter flogen davon â ein ganzes Dach klappte weg â, und das Rad, das nur aus Holz und Stricken bestand, brach auseinander. Eine lange Welle peitschte die StraÃe herab und fegte die Häuser, den Plankenbelag und die Bürger einfach davon. Antaea wechselte einen Blick mit Chaison. Als sich der Berg hinter Kestrel und seinen Männern auftürmte, stieÃen sie sich beide ab. Hinter ihnen schnellten mit lautem Bellen die Planken in die Höhe. Kestrels Trupp wurde zusammen mit den zerbrochenen Brettern und den abgeplatzten Nägeln nach oben geschleudert.
Als Chaison wieder landete, fehlte die Hälfte des StraÃenbelags. Das aufgerissene Rad torkelte im freien Fall dahin und brach nur wenige Sekunden nachdem die Welle vorbeigezogen war, vollends auseinander. »Komm!« Er fasste Antaeas Hand. Zusammen sprangen sie über die Lücken in der StraÃe â unter ihren FüÃen brodelten die Wolken und wogte das Wasser â und erreichten Ergezâ Tür genau in dem Augenblick, als die Schwerkraft endgültig versagte.
Chaison zog sich durch die Ãffnung in die Dunkelheit hinein. Für einen schrecklichen Moment fühlte er sich in
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