Seherin von Kell
seiner Majestät, nicht wahr?«
»Ja.«
»Bedeutet das nicht, daß man Initiative von uns erwartet, wenn es darum geht, taktische Situationen zu nutzen, die sich im Feld ergeben? Und zwar ohne daß wir erst Mal Zeth konsultieren?«
»Ich denke schon. Aber Ihr habt mehr Zeit im Feld verbracht als ich.«
»Das ist so üblich, Brador. Also schön. Darshiva ist so gut wie oh-ne Verteidigung. Ich schlage vor, daß wir auf der anderen Flußseite in Peldane wieder Ordnung herstellen und in Darshiva einmarschie-ren, um es zu besetzen. Auf diese Weise schneiden wir Zandramas von ihrem Nachschub ab. Wir errichten eine Verteidigungslinie am Fuß der Bergkette entlang, um ihre Streitkräfte zurückzuschlagen, falls sie zurückkommen. Wir werden zwei Provinzen wieder unter kaiserliche Herrschaft bringen. Vielleicht werden wir dafür sogar mit ein paar Orden belohnt.«
»Wenn das gelänge, würde Seine Majestät sich freuen, nicht wahr?«
»Sogar sehr, Brador.«
»Ich verstehe nur nicht, wie uns die Besetzung, von Darshiva helfen könnte, Seine Majestät aufzuspüren.«
»Das kommt daher, daß Ihr keinen militärischen Verstand habt.
Wir müssen immer genau wissen, wo der Feind ist. In diesem Fall ist das die darshivische Armee. In solchen Situationen werden grö-
ßere Patrouillen ausgeschickt, die in Berührung mit den Feind kommen sollen, um seine Stärke und vermutlichen Absichten abzuschätzen. Wenn diese Patrouillen zufällig auf den Kaiser stoßen sollten, nun…« Er spreizte beredt die Hände.
»Ihr würdet allerdings den Offizieren dieser Patrouillen exakte Anweisungen erteilen müssen«, gab Brador zu bedenken. »Ein uner-fahrener Leutnant könnte in seiner Verlegenheit allerlei ausplap-pern, worauf wir den Kaiser eigentlich nicht aufmerksam machen wollen.«
»Ich sagte größere Patrouillen, Brador.« Atesca lächelte. »Ich dachte dabei an ganze Brigaden. Brigaden werden von Obristen befehligt, und ich habe eine Menge intelligente Obristen.«
Brador grinste seinen Freund an. »Wann soll's losgehen?« fragte er.
»Hattet Ihr irgend etwas für morgen früh geplant?«
»Nichts, was sich nicht verschieben läßt«, versicherte ihm Brador.
»Aber warum hast du nicht gewußt, daß er kommt?« fragte Barak seinen Bootsmann Drolag. Die beiden standen auf dem Achterdeck, wo der windgepeitschte Regen fast horizontal über die Reling fiel und an ihren Bärten zerrte.
Drolag wischte sich das Gesicht mit einer Hand. »Ich verstehe es selbst nicht, Barak«, gestand er. »Dieses Bein hat mich noch nie zuvor im Stich gelassen.« Drolag war einer dieser Bedauernswerten, die sich irgendwann einmal ein Bein gebrochen hatten – Drolag bei einer Kneipenschlägerei. Schon bald, nachdem der Knochen wieder zusammengewachsen war, stellte er fest, daß er außerordentlich wetterfühlig geworden war und Unwetter mit fast unheimlicher Genauigkeit vorhersagen konnte.
Seine Kameraden achteten auf ihn. Wenn Drolag bei jedem Schritt das Gesicht verzog, suchten sie den Horizont nach Gewitterwolken ab; wenn er humpelte, refften sie die Segel und spannten Sicher-heitsleinen; und wenn er mit einem Schmerzensschrei auf das Deck fiel, verbarrikadierten sie rasch alle Luken, warfen den Treibanker aus und begaben sich unter Deck. Drolag hatte es verstanden, beruf-lichen Nutzen aus seiner verläßlichen zeitweiligen Unannehmlichkeit zu ziehen. Er bekam stets die beste Heuer, und niemand erwartete, daß er hart arbeite. Er brauchte bloß auf Deck her-
umzuschlurfen, wo ihn alle beobachten konnten. Das wundersame Bein ermöglichte es ihm sogar, mit einiger Genauigkeit vorherzusa-gen, wann ein Sturm ausbrechen würde.
Doch diesmal hatte ihn sein Bein im Stich gelassen. Der Sturm, der mit peitschendem Regen über die Decks der Seevogel fegte, war un-angemeldet gekommen und hatte Drolag ebenso überrascht wie alle anderen an Bord.
»Du hast dich doch nicht etwa vollaufen lassen und dir das Bein noch einmal gebrochen?« fragte Barak mißtrauisch. Barak verstand herzlich wenig von menschlicher Anatomie – nur so viel, daß er wußte, wo er einen Gegner mit der Axt treffen oder mit dem Schwert durchbohren mußte, um den gewünschten Erfolg zu erzie-len. Der rotbärtige Riese folgerte auf etwas schleierhafte Weise, daß Drolag, wenn er sich seine Wetterfühligkeit durch einen Beinbruch zugezogen hatte, diese durch einen zweiten Beinbruch wieder verlieren könnte.
»Nein, natürlich nicht, Barak«, entgegnete Drolag entrüstet. »Ich werde
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