Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
waren von den Suppenschüsseln, die sie verteilte, gewärmt. Sie hörte Babette fluchen, beugte sich vor und half ihr, den Handwagen, auf dem der Topf stand, aus einer Schneewehe zu schieben. Dann griff sie erneut nach der Kelle.
»Schenke die Suppe nicht so großzügig ein. Die Händler können sich später woanders ihre Wänste vollschlagen. Die Kinder dort hinten, sie sollen die Suppe bekommen.«
Vor Schreck glitt Jola die Kelle aus den Händen. Ein sternförmiger gelber Fleck zeichnete sich im leuchtenden Weiß des Schnees ab.
Die Baronin, die Nörglerin persönlich, war hier.
Bei ihnen.
Vor dem Schloss.
Um Kinder zu verköstigen.
Zu dritt starrten sie die Baronin an, bis Babette sich fasste und den Wagen in Richtung der Bettelkinder lenkte.
Ania hob die Kelle auf, klopfte den Schnee ab und eilte ihr hinterher.
»Frau Baronin, dürfte ich Euch bitten, mir wieder ins Schloss zu folgen? Ich sehe keine Veranlassung, dass Ihr Euch ohne Begleitung inmitten des Pöbels bewegt.« Ebenso unbemerkt wie zuvor Bérénice de Troyenne hatte sich Hauptmann Bouchet durch die Menge geschoben. Die Hände in die Seiten gestemmt, das Schwert sichtbar vor den Leib gegürtet, wanderte sein Blick abschätzig über die Menschenmenge.
»Nun seid Ihr doch da. Folgt mir!«, befahl die Baronin und wandte sich dem Handwagen zu. Sie nahm Ania eine Schale aus der Hand und reichte sie einem Mädchen, das zum Dank knickste und umgehend die Suppe auszutrinken begann.
Der Hauptmann stieß Jola in die Rippen. »Beweg dich, und sieh zu, dass ihr fertig werdet«, sagte er, ohne die Baronin aus den Augen zu lassen.
Jola wiederum beobachtete den Hauptmann. Er stand der Garde des Barons vor, aber er war ein Mann mit bösem Blick, um den sie sonst einen großen Bogen schlug. Er musterte die Kinder, die, verhüllt in Schichten verdreckter Kleidung, inzwischen den Handwagen umringt hatten. Der Anblick der gereckten Köpfe und glänzenden Augen hatte anscheinend auch ihn nicht unberührt gelassen, denn seine Körperhaltung wirkte inzwischen entspannter. Er beugte sich vor, um einem Mädchen über das verfilzte Haar zu streichen, und seine Hand blieb auf ihrer Schulter liegen. Neben der Kleinen, die ungefähr zehn Jahre alt sein mochte, stand ihr Abbild. Zwillinge, die als hübsch zu bezeichnen gewesen wären, wenn man sie tüchtig mit heißem Wasser geschrubbt und in saubere Kittelchen gesteckt hätte. Beide lächelten zu Hauptmann Bouchet auf.
»Macht langsam, wenn ihr in den letzten Tagen wenig gegessen habt«, mahnte er.
Jola sah ungläubig zu ihm hinüber. Der Hauptmann verteilte zwar keine Suppe, aber gut gemeinte Ratschläge, und das, obwohl er doch sonst kein Mann des Wortes war.
Die Mädchen nickten brav.
»Wie heißt ihr denn?«
»Ich heiße Nene«, sagte eines der Mädchen und zeigte dann auf seine Schwester, »und das ist Nana.«
Die linke Augenbraue des Hauptmannes zuckte bedenklich. Beschwichtigend hob Nene die Hände und versicherte: »Wir nennen uns nur so. Wir waren sehr klein, als unsere Mutter verstarb, sodass wir uns nicht an unsere Namen erinnern können.«
Jola atmete durch, denn die Braue des Hauptmannes schob sich wieder an ihren Platz zurück.
Derweil waren die Zwillinge an der Reihe. Sie erhielten ihre Schüsseln und wurden dann von der Baronin grob aus der Reichweite des Hauptmannes geschoben.
Hauptmann Bouchet verschränkte die Arme und musterte die Nörglerin. Und da war er wieder: sein böser Blick.
Saint Mourelles
D ie durchdringende Tonlage des Schreis, das weit aufgerissene Mündchen und die winzigen Hände, die, zu Fäustchen geballt, in der Luft herumruderten, weckten eine Sehnsucht in Catheline, die sie immer wieder spürte. Aber irgendwann würde sie es sein, das wusste sie, über die sich die Frauen des Dorfes beugten, um sie bei der Geburt ihres Kindes zu begleiten. So Gott wollte, vielleicht schon im übernächsten Sommer.
Catheline lehnte sich vor, wischte Ysa mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht und streichelte ihr die Wange. »Du hast es geschafft«, flüsterte sie, »aber jetzt musst du ein wenig essen, um dich zu kräftigen.« Aus einer Schale neben sich, die eigens bereitgestellt worden war, nahm sie ein Brot, brach es und reichte es Ysa.
Grete, die Dorfälteste, füllte derweil den Holzzuber mit Wasser. Mit der Hand prüfte sie, ob es warm genug war, und als sie nickte, begann Blanche, den Säugling zu baden. Wiegte den Kopf zu der Melodie, die sie summte. Stets war ihr Mundwerk,
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