Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
in dem bereits einige Zähne fehlten, in Bewegung, und wenn sie es schloss, dann nur, um zu summen, zu kauen oder, wieihr Sohn Avel behauptete, mit bebenden Lippen zu schnarchen.
Kurz darauf übernahm Grete das schreiende Menschlein und hob es in die Höhe. Gemeinsam mit Blanche betrachtete sie im züngelnden Licht der Feuerstelle den kleinen Körper, bewegte seine Arme und Beine, zählte die Finger und Zehen und betastete kurz das, was ihn unverkennbar zum Jungen machte. Dann rieb sie seine Haut mit warmem Öl ab und wickelte ihn fest in eine ebenfalls vorgewärmte Leinendecke.
»Ich habe die Nabelschnur abgebunden. Es ist ein recht kräftiger kleiner Mann, dem es offensichtlich an nichts mangelt.« Grete strich sich eine ihrer silbergrauen Locken aus der Stirn und bettete den Jungen in eine längliche Futterschale aus Holz, die sie zuvor mit einem Schaffell ausgelegt hatte. Sie lächelte Ysas Tochter Rachel zu, doch das Mädchen rührte sich nicht und blieb abseits stehen.
Catheline fasste die Hand der leise aufstöhnenden Ysa. Doch diese schenkte dem Schmerz keine Aufmerksamkeit, sondern ließ ihre Tochter Rachel nicht aus den Augen. Während der gesamten Geburt hatte das Mädchen, vom Wehklagen der Mutter unbeirrt, Öl bereitgestellt, das Feuer geschürt, Wasser erhitzt und Tücher herbeigeschafft. Obwohl Rachel erst elf Jahre alt war, hatte sie jede Aufgabe, die ihr übertragen worden war, erledigt, als sei sie eine erfahrene Geburtshelferin. Doch nun schob sie die Arme hinter ihren Rücken und wirkte selbst im gedämpften Licht auffällig bleich. Das tiefbraune Haar fiel ihr ins Gesicht, und ihr kleiner Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell.
Blanche lachte auf. »Rachel, mein Herzchen! Du hast uns so wunderbar bei der Geburt deines Brüderchens beigestanden. Du darfst ihn, wie es sich für eine Geburtshelferin gebührt, nehmen und für einen Moment in deinen Armen wiegen. Dasist der Lohn der Mühen: ein Geschenk Gottes in den Händen zu halten, das noch so rein und unschuldig ist.« Sie nickte dem Mädchen aufmunternd zu. »Währenddessen werden wir deine Mutter waschen und ein wenig aufräumen. Du weißt doch, wie die Männer sind. Wenn wir deinen Vater holen, würde er ob der blutigen Tücher erschrecken.«
Zögernd schob Rachel ihre Arme hinter dem Rücken hervor, und kaum dass sie das greinende Kind an ihrem Leib spürte, ging ein Lächeln über ihr zuvor so ernstes Gesicht. Sie schob einen Finger in das Mündchen des Kleinen und lachte auf, als er zu saugen begann. »Das kitzelt«, flüsterte sie und lief, jeden Schritt achtsam setzend, zu Ysa hinüber.
»Nimm du ihn, Mama, er ist so schön. Schau ihn dir an.«
Catheline half Ysa, die Mühe hatte, ihre Leibesfülle aufzurichten, sich hinzusetzen, dann reichte Rachel ihr den Kleinen. Ungelenk schob das Mädchen sich unter die Decke, schmiegte sich an die Mutter, und gemeinsam bestaunten sie das kleine Menschenkind.
»Rachel, was hältst du davon, wenn du zu Eve und Gabin läufst, um die Männer abzuholen? Sicher möchte dein Vater dein Brüderchen auch gern begrüßen. Und vergiss mir Avel nicht, du weißt, mein Sohn kann sehr ungeduldig werden«, sagte Blanche. Mit einem Seitenblick auf Catheline fügte sie hinzu: »Und wenn Mathis dort ist, soll er auch herüberkommen.«
Das Mädchen küsste erst seine Mutter, dann das Brüderchen, kletterte aus der Bettstatt, legte sich den Umhang um und war flugs verschwunden.
Catheline lächelte in sich hinein und stieg über das kleine Laufgestell hinweg, mit dem schon Rachel ihre ersten Schritte gemacht hatte und das nun für den kleinen Bruder bereitstand. Sie raffte die Tücher zusammen und warf sie in einen Beutel.Ich werde die Tücher mitnehmen und wieder herbringen, wenn ich sie gewaschen habe. Doch der Gedanke taugte nur kurz, sich von dem Flattern in ihrem Bauch abzulenken. Gleich würde Mathis durch die Tür treten. Er würde diesen kleinen Säugling sehen, vielleicht auf den Arm nehmen, ihn herzen und auf den winzigen Kopf küssen. Ob er sich wohl auch vorstellte, wie ihre Kinder aussehen würden?
»Wir beide, Catheline, müssen noch ein ernstes Wörtchen reden«, sagte Blanche, während sie behutsam Ysas massige Schenkel auseinanderdrückte und ihr den Schoß zu waschen begann. »Du kannst nicht weiterhin beständig zu Mathis laufen, die Leute fangen an, darüber zu reden.«
»Er ist krank, und ich kümmere mich um ihn«, erwiderte Catheline, erstaunt, dass die Kräuterfrau sich darum
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