Sehnsucht
nirgendwo auf dem Gelände irgendwelche Waffen, die einen Körper so hätten zurichten können. Sie waren buchstäblich in Stücke gerissen worden, und es sah nicht so aus, als ob es mit irgendeiner Art von Klingenwaffe geschehen wäre. Es ist absolut unmöglich, dass Cerise dazu fähig gewesen wäre, aber sie hat nie erzählt, wer es wirklich war.«
»Wow.« David grinste nervös. »Gruselig.«
»Das Haus stand einige Zeit lang leer«, fuhr Bo ungerührt fort. »Es gehörte der Bank, da Cerise für unzurechnungsfähig erklärt worden war. 1902 kaufte die Familie Wards das Haus und renovierte es. Sie wohnten über vierzig Jahre lang ohne Zwischenfall hier. Die Kinder wurden erwachsen und zogen weg. Für das alternde Ehepaar war das Haus zu groß, um es selber in Schuss halten zu können, und so zogen sie 1945 aus. Sie verkauften es an ein junges Paar, George und Sarah James.
1950, fünf Jahre später, kam Sarahs Schwester zu Besuch und fand Sarah tot vor, in Stücke zerhackt. George saß blutüberströmt und zusammengekauert in einer Ecke. Wie damals Cerise war er selbst unversehrt, aber er hat auf niemanden reagiert oder irgendwelche Fragen beantwortet. Er starb zwei Tage später im Krankenhaus. Sein Herz ist einfach stehen geblieben. Keiner wusste warum.«
»Ich erkenne einen roten Faden«, sagte Andre.
Bo nickte. »Du erkennst richtig. Das Haus ging nach Georges und Sarahs Tod wieder zurück in den Besitz der Bank. 1965 kauften Lily Harris und Josephine Royce zusammen das Haus und renovierten es von Grund auf.«
Cecile hob ihre Augenbrauen. »Lesben? In Mississippi?«
Amy funkelte sie böse an. »Cecile, selbst in den Sechzigern in Mississippi haben die Leute weggeschaut, wenn man es ihnen nicht gerade direkt unter die Nase gerieben hat. Außerdem wusste es ja niemand genau. Sie gaben sich als Cousinen aus.«
Sam grinste hinter vorgehaltener Hand, als Cecile rot anlief und den Blick abwandte.
Bo atmete tief ein. »Wie auch immer ihre Beziehung zueinander war, sie richteten das Haus jedenfalls komplett her und machten daraus ein Bed-and-Breakfast. Von Anfang an gab es Probleme. Gäste beschwerten sich manchmal über zugige Stellen und seltsame Geräusche, und manche Leute sahen angeblich erschreckende Dinge. Es geschah nicht dauernd, aber oft genug, um die Leute misstrauisch zu machen. Bald munkelte man, dass es in Oleander House spukt.
Laut dem Mann, der die Lebensmittel lieferte, wollte Lily das Haus verkaufen und wegziehen, aber Josephine bestand darauf, zu bleiben. Das Geschäft lief immer schlechter und 1972 waren sie fast pleite. Sie zogen aus und das Haus wurde wieder Eigentum der Bank. Lily war erleichtert, aber Josephine konnte sich nie damit abfinden. Sie sprach immer wieder davon, zurückzukommen.
1979 brachen einige Schulkinder für eine Mutprobe ins Haus ein. Es hatte den Ruf als Geisterhaus, also trieben sich die Kids natürlich immer hier rum, wenn gerade niemand im Anwesen wohnte. Und während sie das Haus durchstöberten, fanden sie Lilys Leiche. Josephine war verschwunden. Lilys und Josephines Vermieter sagte aus, dass sie für ein Wochenende aufs Land gefahren wären, aber er wusste nicht, wohin genau. Die Polizei vermutete, dass Josephine Lily umgebracht hatte, aber sie konnten es nie beweisen. Sie war in Stücke gerissen worden, genau wie die anderen Opfer. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit für eine Frau mittleren Alters.«
»Heftige Geschichte«, sagte Sam nach einem Moment der Stille. »Und wer wohnt jetzt hier? Das Haus sieht aus, als wäre es in gutem Zustand.«
»Carl Gentry ist der momentane Besitzer. Er hat das Haus von der Bank gekauft, ein Jahr nachdem Lily ermordet worden war.« Amy wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. »Er hat Unsummen reingesteckt, um es wieder herzurichten, und lebt seit sechzehn Jahren hier, ohne je etwas Ungewöhnliches erlebt zu haben. Er ist in eine Penthousewohnung in Mobile gezogen und hat Oleander House 1996 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist durch seinen Ruf ziemlich bekannt geworden.«
»Ich hab während meiner Collegezeit von dem Haus gehört, als Mr. Gentry noch hier gewohnt hat«, fügte Bo hinzu. »Seitdem juckt es mich in den Fingern, Nachforschungen anzustellen. Ich hab versucht, seine Erlaubnis dafür zu bekommen, sobald ich die Möglichkeiten hatte, eine echte Ermittlung auf die Beine zu stellen. Jahrelang hat Mr. Gentry alle meine Anrufe und Briefe ignoriert. Ich hatte schon mehr oder weniger
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