Sehnsucht
gleich die Tür gegenüber rein und drinnen auf der rechten Seite. Es gibt noch ein zweites, rechts bei der Treppe. Tut mir leid, dass wir nicht mehr Badezimmer zur Verfügung haben. Das Haus ist so alt, dass man noch Plumpsklos draußen hatte, als es gebaut wurde. Fließendes Wasser und die Badezimmer im Haus wurden erst in den letzten 75 Jahren oder so eingebaut.«
»Kein Problem. Ich bin in einem Haus mit nur einem Bad aufgewachsen; ich bin ans Teilen gewöhnt.« Sam warf seine Tasche auf das Doppelbett und schaute sich im Zimmer um. Eine gläserne Doppeltür mit durchsichtigen, weißen Vorhängen führte auf die obere Veranda hinaus. Der Raum strahlte mit seinen blassgelb gestrichenen Wänden eine wunderbar friedliche Atmosphäre aus. »Das Zimmer ist toll.«
»Freut mich, dass es dir gefällt. Pack aus und komm dann einfach in die Bibliothek, wenn du fertig bist. Die Treppe runter und dann auf der linken Seite. Kannst sie nicht verfehlen.« Bo warf ihm einen durchdringenden Blick unter schweren Lidern zu, der Sams Knie weich werden ließ. »Bis gleich.«
Bo verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Kaum war Sam allein, ließ er sich aufs Bett sinken und wartete, bis seine Beine aufhörten, zu zittern.
Kapitel 2
Zwanzig Minuten später ging Sam die Treppe zur Bibliothek hinunter und folgte dem Stimmengemurmel durch einen Bogengang in einen großen Raum. Tiefe, mit Büchern vollgestopfte Regale bedeckten die Wände vom Boden bis zur Decke. Kleine rot-gold-gemusterte Teppiche lagen über den dunklen Holzboden verteilt. Auf einem runden Mahaghonitisch in der Mitte des Zimmers stapelten sich Arbeitsgeräte aller Art; einige davon kannte er, andere wiederum nicht. Trotz seine Größe strahlte der Raum eine geradezu bedrückende Atmosphäre aus.
David bemerkte seine Anwesenheit und winkte Sam zu sich herrüber.
»Hey! Ich hab mich schon gefragt, ob ich dich holen soll.«
»Tut mir leid, dass ihr warten musstet.« Sam setzte sich neben David auf ein kleines, rotes Ledersofa.
»Kein Problem.« Bo lächelte. »Bevor wir anfangen, solltet ihr erst mal mehr über die Geschichte des Hauses erfahren.«
»Ich glaube, die kennen wir alle schon«, warf Cecile gelangweilt ein. »Carl hat mir schon alles erzählt.«
Amys Augen verengten sich. Andre legte eine Hand auf ihren Arm, als ob er einen bevorstehenden Ausbruch verhindern wollte. David rollte die Augen, sagte aber nichts.
»Du meinst Carl Gentry, den Besitzer des Hauses?«, fragte Sam und versuchte, nicht zu amüsiert zu klingen.
»Ich bin sicher, er hat dir das Wichtigste erzählt«, warf Bo ein, bevor Cecile antworten konnte. »Aber ich denke auch, dass du nicht die ganze Geschichte gehört hast. Ich bezweifle, dass Mr. Gentry sie überhaupt komplett kennt. Und ich weiß, dass der Rest des Teams sie noch nicht gehört hat.«
Cecile schürzte die Lippen, beließ es aber dabei.
»Das Haus wurde 1840 von einem Mann namens Claude Devereux gebaut«, fing Bo ohne weiteren Kommentar an.
»Er und seine Frau Esmeralda nannten es Maison de Oléandre, Oleander House, nach den Oleanderbüschen, die die Auffahrt entlang wachsen. Sie zogen ihre Kinder hier auf und verbrachten ihr gesamtes Leben hier. 1853 verloren sie während der Gelbfieberepidemie eine Tochter und im Bürgerkrieg zwei Söhne, aber während ihrer gesamten Zeit hier hat sich nie etwas Übersinnliches ereignet – zumindest ist uns nichts anderes bekannt. Claude und Esmeralda wurden hinterm Haus im Familiengrab beerdigt. Ihr ältester Sohn Gaston erbte das Haus nach ihrem Tod und zog mit seiner Familie aus New Orleans hierher zurück.
1890 kam der hiesige Pfarrer eines Tages zu Besuch und fand die gesamte Familie niedergemetzelt vor. Allesamt – außer der ältesten Tochter Cerise. Der Sheriff fand sie oben in ihrem Zimmer. Sie war blutüberströmt, aber nichts davon war ihr eigenes, sie selbst war komplett unverletzt, zumindest körperlich. Sie starb dreizehn Jahre später in einem Irrenhaus im Alter von achtundzwanzig Jahren an einem Herzstillstand. Vom Tag der Morde an bis zu ihrem Tod hat sie kein einziges Wort mehr gesagt.«
»Dachten sie, Cerise hat's getan?«, überlegte Sam. »Klingt unwahrscheinlich, dass ein Mädchen im Teenageralter in der Lage gewesen sein soll, ihre ganze Familie umzubringen. Immerhin sprechen wir hier von einer Zeit, bevor es vollautomatische Waffen gegeben hat.«
»Sie waren sogar ziemlich sicher, dass sie es nicht getan hat«, sagte Amy. »Es befanden sich
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