Sehnsucht der Dunkelheit (German Edition)
Boden.
Sneethy. Sie erkannte den Speer, den er immer noch in Händen hielt.
Sie schluckte die bittere Galle hinunter, die ihr im Hals aufstieg, und krabbelte von seinen traurigen Überresten fort, in ein versteinertes Gebüsch hinein.
Ihr erster Impuls? Sich zu einer Kugel zusammenrollen und verstecken. Was nützte es schon zu fliehen? Der Tod wartete in jeder Richtung.
Doch dann begann sie sich zu schämen. Sie war zwar noch jung, aber dennoch war Carrow eine ausgewachsene Söldnerin der Wiccae und eine Anführerin innerhalb der viel gepriesenen Kriegerinnenkaste. Sie würde dieser Bestie furchtlos gegenübertreten – und wenn das ihr Ende bedeutete.
»Zeig dich, du Feigling!« Sogleich begannen Bäume umzufallen, und zwar in einer Linie, die direkt auf sie zuführte. Ein Ungeheuer bahnte sich seinen Weg. Zuvor hatte es sich völlig lautlos bewegt, doch nun kam es mit lautem Getöse auf sie zu.
Es spielte auch mit ihr.
Carrow würde auf keinen Fall untätig herumsitzen, wie eine Opfergabe für King Kong. Zum ersten Mal in ihrem Leben gab es jemanden, der von ihr abhängig war. Sie würde kämpfen. Und wenn sie ihm in puncto Kraft auch nicht gewachsen war, würde sie eben ihre anderen Begabungen einsetzen. Sie würde ihr Köpfchen benutzen … ihn in die Irre führen.
Sie löste den Speer aus Sneethys gekrümmten Fingern, und gerade als sie die Waffe in das Gebüsch hinter sich schob, stürzte der Angreifer auf die Lichtung.
Carrow hob den Kopf. Höher … und höher … Ihr blieb die Luft weg.
Der Körper dieses Wesens war weit über zwei Meter groß und von oben bis unten mit Blut besudelt. Über seinen Ohren wuchsen Hörner, die sich nach hinten bogen. Sein geöffneter Mund entblößte riesige Fänge in Ober- und Unterkiefer. Ein weiterer Dämon.
Bei den Göttern – wie gewaltig er war! Seine breite Brust und starken Arme waren von einem Kettenhemd bedeckt, unter dessen Metall sich deutlich kräftige Muskeln abzeichneten. Er trug eine Lederhose, die ebenfalls mit Blut bespritzt war. Sein langes Haar hing ihm zerzaust um die Hörner und in das schmutzige Gesicht. Seine Wangen waren von einem leichten Bart bedeckt.
Aber das konnte doch nicht … er sein. Ihre Zielperson. Nichts an seiner Erscheinung wies auf den Vampir in ihm hin. Bitte, bitte, lass es nicht ihn sein.
Als sich ihre Blicke trafen, schnappte sie nach Luft. Seine Augen waren hellblau, genau wie im Dossier beschrieben. Ernstlich geistesgestört? Bereit, mit aller erforderlichen Brutalität, sein Territorium zu verteidigen? Zwei eindeutige Jas.
Das Blau flackerte und wurde mit jeder Sekunde dunkler, was bei einem Dämon für gewöhnlich ein Anzeichen für Lust oder Wut war. Weder das eine noch das andere verhieß Gutes für sie.
Während sie sein Erscheinungsbild musterte, wanderte sein Blick über ihren ganzen Körper, über ihren hochgeschobenen Rock und die entblößten Schenkel. Augenblicklich veränderten sich seine Hörner, sodass sie in einer geraden Linie nach hinten zeigten – ein deutliches Signal dafür, dass er sich von ihr angezogen fühlte.
Als er den Kopf hob, wurden seine Augen schmal, so als ob er ein Déjà-vu-Erlebnis hätte. Er ballte die Hände zu kraftvollen Fäusten, öffnete sie wieder und spreizte die mit Klauen versehenen Finger. Immer wieder ballte er die Hände zu Fäusten, um sie gleich darauf wieder zu öffnen, so als ob er etwas vermisste, das er lange festgehalten hatte.
Sein Schwanz wurde hart, was sie selbst mit viel gutem Willen nicht hätte übersehen können. Als seine Atmung immer heftiger wurde und er sich an die Brust fasste, stieg ein lächerlicher Verdacht in ihr auf, den sie rasch wieder verdrängte.
Dieser Dämon schien vor Lust halb wahnsinnig zu sein. Laut ihren Informationen lebte er schon seit Jahrhunderten ohne Frau in dieser Einöde und hatte es genauso nötig wie Asmodel. Und wenn ihr nicht bald irgendetwas einfiel, würde er sich gleich auf sie stürzen, und sein riesiger Körper würde sich auf und in ihr bewegen.
»Ich bitte dich, mir nicht wehzutun.« Sie studierte aufmerksam seine Miene, doch sein harsches Gesicht zeigte keinerlei Veränderung. Sie wusste nicht einmal, ob er ihre Worte überhaupt verstand. Vermutlich sprach er kein Englisch. Ob er ein Trothianer war? Mit Sicherheit. Seine einzige Reaktion war die beständig wachsende Erektion.
Gerade als sie zu vermuten begann, dass keinerlei Kommunikation mit ihm möglich war, schlug er sich selbst mit der Faust auf die
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