Sehnsucht der Dunkelheit (German Edition)
beschmierte. Hatte ihre Unterlippe etwa gezittert? Konnte irgendeine Frau all das, was sie mitgemacht hatte, ohne Tränen ertragen? Der Abdruck ihrer Hand zeichnete sich auf seiner Brust ab. Ihre Erschöpfung war ihr deutlich anzusehen, und sein Biss hatte sie noch weiter geschwächt. Ihr Gesicht war bleich.
Er hatte zu viel getrunken. Er schwor sich insgeheim, dass er das nächste Mal nicht so gierig sein, sondern nur einige wenige Schlucke nehmen würde. Ich muss mich beherrschen.
Sie würde sicherlich gleich in Tränen ausbrechen. Verdammt noch mal, wenn sie weinte, dann sollte es niemals seinetwegen sein. Nein, er träumte davon, dass er sie in die Arme nahm und ihr Trost spendete. Er wollte sie fragen, ob er ihr alle Sorgen abnehmen dürfe, und dann würde sie ganz zaghaft nicken.
Sie würde seinem Leben einen Sinn verleihen.
Doch er hatte keine Möglichkeit, sie das zu fragen.
Oder doch … ? Er hatte ihre Sprache einst beherrscht, doch sie dann tief im hintersten Winkel seines Gehirns begraben. Er konnte sich nicht an sie erinnern, ohne gleichzeitig an seine Folter zu denken – und seine Kindheit. Jahrhunderte waren vergangen, seit er diese Sprache gesprochen hatte.
Er schluckte, konzentrierte sich und starrte auf ihr Gesicht, während er sich mit aller Macht bemühte, sich die Worte einer Sprache ins Gedächtnis zurückzurufen, die für ihn aufs Engste mit Folter und Leid verknüpft waren. Wie konnte er ihr sagen, dass sie nicht weinen brauchte und dass er sie nur sicher in sein Heim bringen wollte? Dass er sich bemühen würde, ihr nicht noch einmal wehzutun?
Als sie die Augen fest zudrückte und die Hände zu Fäusten ballte, wurde ihm klar, dass diese Frau keineswegs kurz davorstand, in Tränen auszubrechen.
Sie stand kurz davor, ihn anzugreifen.
Ihm kam der Verdacht, dass sie soeben noch weitaus mächtiger geworden war als in der Nacht zuvor.
Als sie die Augen wieder öffnete, funkelten sie vor Wut und blitzten wie explodierende Sterne.
Was für eine wunderschöne Frau – und dazu so furchterregend.
Als sie ihre hell erstrahlenden Hände erhob, atmete er aus, spannte die Muskeln an und wappnete sich für den unheiligen Zorn seiner Frau …
11
Slaines Biss war alles andere als furchtbar gewesen – und das versetzte Carrow in ungeheure Wut.
Zum Glück war sie jetzt in der Lage, ihrem Zorn Luft zu machen, nachdem sie seine glückliche Stimmung wie mit einem Strohhalm eingesaugt hatte. Macht! Eine schnelle, brennend heiße Infusion purer Macht. Diesmal war sie sogar noch stärker geworden.
»Das hättest du nicht noch einmal tun sollen.« War sie vielleicht keinen Deut besser als diese Beißhuren in New Orleans, die es antörnte, wenn ihr Blut getrunken wurde? Carrow hatte sich immer wieder nur zu gerne über diese Frauen lustig gemacht.
Ein Wink ihrer strahlenden Hände, und das Seil um ihren Knöchel löste sich auf, sodass sie endlich aufstehen konnte. Ein weiterer Wink ließ ihren verlorenen Ring auf sie zufliegen, als würde er von einem Magneten angezogen werden. Während sie ihn sich wieder an den Finger steckte, warf sie ihm ein grausames Lächeln zu.
» Doppelt plagt euch, mengt und mischt «, murmelte sie. »Wohin willst du es diesmal?«
Mit ernstem Ton sagte er etwas auf Dämonisch, das sich wie ein Befehl anhörte. Carrow mochte keine Befehle, sondern war daran gewohnt, selbst das Sagen zu haben. Also feuerte sie auf ihn, sodass er quer über die ganze Lichtung geschleudert wurde. Mühsam kam er wieder auf die Füße. Er schien von ihr enttäuscht zu sein.
»Du findest, ich sollte anders reagieren?« Sie feuerte erneut. »Obwohl ich dich gewarnt hatte, dass du gefälligst deine Fänge bei dir behalten solltest?«
Er knurrte sie mit frustrierter Miene an.
»Dann behandle mich gefälligst anders, du Gorilla!«, schrie sie. »Das kann doch nicht so schwer sein.«
Beim dritten Schuss spannte er den ganzen Körper an und streckte die Brust heraus, um ihren Energiestrahl beinahe stolz in Empfang zu nehmen. Dann blickte er mit zusammengekniffenen Augen auf ihren Hals und grinste, so als wollte er sagen: Das war’s mir wert, Süße.
Sie riss die Augen auf. »Oh, du bist ja so was von tot«, schwor sie. »Du hast keine Ahnung, wie tot du bist!« Mit dem letzten Rest ihrer stärksten Magie feuerte sie einen weiteren Schuss auf ihn ab. Diesmal hörte sie etwas knacken. Seine Rippen vielleicht? Ein Schlüsselbein?
Trotzdem stand er immer noch aufrecht! Sie hatte ihre ganze Kraft
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