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Sehnsucht der Unschuldigen

Sehnsucht der Unschuldigen

Titel: Sehnsucht der Unschuldigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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daß seine dichten schwarzen Locken zum Vorschein kamen und sagte: »Jawohl, Ma’am. Der Sheriff würde Sie gern sprechen, Doc.«
    Shays erhob sich mit einem müden Nicken.
    »Im Flur steht ein Telefon«, murmelte Caroline und eilte dem Polizisten nach. »Deputy…«
    »Johnson, Ma’am, Carl Johnson.«
    »Deputy Johnson, ist sie ertrunken?«
    Er warf ihr einen schnellen Blick zu. »Nein, Ma’am. Das ist sie nicht.«
    Burke kauerte, den Kopf von der Leiche abgewandt, auf dem Baumstamm. Neben ihm lag eine Polaroidkamera. Er brauchte noch ein wenig Zeit, bis er wieder seine Haltung als Hüter des Gesetzes annehmen konnte. Bis er wieder einen klaren Kopf bekam und sein Magen sich beruhigte.
    Mit dem Tod war er bereits des öfteren konfrontiert gewesen.
    Er hatte sein Aussehen, seinen Geruch schon als Junge kennengelernt, als er mit seinem Vater auf die Jagd gegangen war. Am Anfang hatten sie aus reiner Freude am Sport geschossen. Später dann, nach einer Mißernte, hatten sie es getan, damit wenigstens Fleisch auf den Tisch kam.
    Er hatte auch den Tod von Mitmenschen erlebt. Angefangen hatte es mit dem Selbstmord seines Vaters nach dem Verlust der Farm. Und hatte ihn nicht die Tragödie seines Vaters direkt zu dieser Toten hier geführt? Ohne Farm, aber mit einer Frau und zwei Kindern, die auf ihn angewiesen waren, hatte er sich als Deputy und später als Sheriff verdingt. Der Sohn eines reichen Farmers hatte zwar zunächst nach dessen sinnlosen Selbstmord das Land, das ihm erst alles gegeben und später alles genommen hatte, gehaßt, hatte das Leben geradezu verabscheut, hatte dann aber doch seine Talente in die richtige Ba hn gelenkt: Er sorgte für Recht und Ordnung.
    Doch selbst der grausame Fund in der Scheune damals, als sein Vater unter dem Dachsparren gebaumelt hatte und nur das leise Knarzen bei der Reibung am Holz zu hören gewesen war, hatte ihn nicht auf diese sadistisch zugerichtete Tote im Teich der McNairs vorbereitet.
    Komisch, dachte Burke, während er gierig an einer Zigarette sog, wie wenig er Edda Lou doch gemocht hatte. Sie hatte etwas Ordinäres an sich gehabt, einen verschlagenen Ausdruck in den Augen, bei dem ihm jedes Mitgefühl vergangen war, und das, obwohl sie mit diesem brutalen Austin Hatinger als Vater mehr als geschlagen war.
    Aber dann erinnerte er sich an das Weihnachtsfest vor vielen Jahren, als er und Susie sie auf der Straße gesehen hatten. Sie war damals allenfalls zehn gewesen. Ihr Haar war in einem strengen Knoten hinten zusammengebunden gewesen, und der Saum des mehrfach geflickten Kleidchens war an den Seiten viel zu kurz gewesen. Sie hatte die Nase gegen Larssons Schaufenster gepreßt und eine Puppe mit blauem Umhang und einem Diadem aus Rheinsteinen angestarrt.
    Sie war noch ein kleines Mädchen gewesen, das so gern ans Christkind geglaubt hätte. Und hatte bereits gewußt, daß es keins gab.
    Hinter sich hörte Burke ein Rascheln. Er wandte sich um.
    »Doc?« Dann stieß er den Rauch aus und sagte nur: »Oh, mein Gott!«
    Shays legte die Hand auf seine Schulter, drückte sie kurz und beugte sich über die Leiche. Der Tod war auch für ihn kein Fremder. Und seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß er nicht nur zu den Alten kam. Diese Form der blindwütigen Zerstümmelung freilich überstieg sein Fassungsvermögen.
    Sanft hob er die schlaffe Hand der Toten hoch und begutachtete das kreisrund aufgeschlitzte Gelenk. Die Knöchel wiesen dasselbe Merkmal auf. Der Anblick bereitete ihm physische Schmerzen. Was für eine Hoffnungslosigkeit darin doch zum Ausdruck kam! Diese Ringe in der zerfetzten Haut bedrückten ihn fast mehr als die brutalen Einschnitte am Rest des Körpers.
    »Sie war eins der ersten Babys, das ich nach meiner Rückkehr nach Innocence entbunden habe.« Mit einem Seufzer tat er das, was Burke nicht vermocht hatte: Er schloß der Toten die Augen.
    »Schlimm, wenn Eltern die eigenen Kinder beerdigen müssen.
    Aber bei Gott, für Ärzte ist es nicht minder traurig.«
    »Er hat sie gräßlich zugerichtet«, würgte Burke hervor.
    »Genauso wie die anderen.«
    Er nahm die Kamera. Die Aufnahmen würden sie noch brauchen. Und irgend etwas mußte er ja bis zum Eintreffen des Untersuchungsrichters noch tun. Das Entsetzen schnürte ihm die Kehle zu. Er schluckte. »Sie wurde an den Baum dort drüben gefesselt. Getrocknetes Blut klebt noch daran. Wo sie mit dem Rücken an der Rinde gescheuert hat, ist die Haut total aufgeschürft. Der Mörder hat eine Wäscheleine benutzt.

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