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Sehnsucht der Unschuldigen

Sehnsucht der Unschuldigen

Titel: Sehnsucht der Unschuldigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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der Auffahrt holperte ein klapperiger Kombi heran. Teilnahmslos sah sie zu, wie er neben dem Straßenkreuzer des Sheriffs anhielt. Ein korpulenter Mann mit einem um den Hals geknoteten roten Halstuch und einem weißen Hemd kletterte heraus. Unter seinem weißen Hut quollen dichte, pechschwarz gefärbte Haare hervor, die er sich mit sehr viel Pomade nach hinten gebürstet hatte. Tränensäcke unter den Augen und ein Doppelkinn ergänzten sein Gesicht. Knallrote Hosenträger sorgten dafür, daß ihm die schwarze Freizeithose nicht zwischen den Knien herumschlabberte. Beim Anblick seiner festen, auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhe mußte Caroline unwillkürlich ans Militär denken, auch wenn die große Tasche aus brüchigem Leder in seiner Hand sofort seinen Beruf verriet.
    »Sie sind bestimmt Miss Caroline.«
    An jedem anderen Tag und Ort hätte sie über seine Fistelstimme grinsen müssen. Im Fernsehen gestern abend hatte ein Gebrauchtwagenverkäufer ganz genauso gesprochen. Fast unheimlich, diese Ähnlichkeit.
    Der Mann trat näher und blieb auf der untersten Stufe zur Veranda stehen. »Ich bin Doc Shays und war fast fünfundzwanzig Jahre lang der Hausarzt Ihrer Großeltern.«
    Caroline antwortete mit einem vorsichtigen Nicken. »Guten Tag.«
    Der erfahrene Arzt mußte sie nicht lange mustern, um einen schweren Schock zu konstatieren. »Burke hat mich hierher bestellt.« Mit einem großen weißen Taschentuch wischte er sich dicke Schweißperlen aus dem Gesicht. Wenn es sein mußte, konnte er schon schnell sein, aber man sah ihm sofort an, daß er eine langsame Gangart bei weitem bevorzugte. »Verflucht heißer Tag, was?«
    »Ja.«
    »Gehen wir doch lieber rein. Da ist es kühler.«
    »Ich weiß nicht…« Sie blickte hilflos zum Wäldchen hinüber.
    »Ich soll hier nämlich warten. Er ist da rübergegangen und will nachsehen… Ich hab Steinchen ins Wasser geworfen und da hab ich ihr Gesicht gesehen.« Shays setzte sich neben sie und fühlte ihr mit sicheren Fingern den Puls. »Wessen Gesicht, meine Liebe?«
    »Keine Ahnung.«
    Als er in seine Tasche griff, erstarrte sie. Monatelange Erfahrungen mit aufmerksamen Ärzten, die immer schnell mit der Spritze zur Hand gewesen waren, hatten Caroline in ständige Alarmbereitschaft versetzt. »Ich will nichts! Ich brauche nichts!« Sie sprang auf. Obwohl sie sich um einen normalen Tonfall bemühte, überschlug sich ihre Stimme. »Ich hab doch nichts! Kümmern Sie sich lieber um die andere. Sie haben doch sicher was für sie dabei.«
    »Alles zu seiner Zeit, mein Mädchen.« Damit sie sich wieder beruhigte, klappte er die Tasche zu. »Setzen Sie sich doch wieder hin und erzählen mir schön der Reihe nach, was passiert ist. Dann sehen wir weiter.«
    Caroline setzte sich zwar nicht, aber nach einigen Atemzügen gewann sie ihre Selbstbeherrschung zurück. Auf keinen Fall wollte, durfte sie noch einmal im Krankenhaus landen. »Es tut mir leid. Ich rede wahrscheinlich recht zusammenhangloses Zeug daher.«
    »Alles halb so schlimm. Die meisten Leute sagen nur die Hälfte der Zeit vernünftige Sachen, und die andere Hälfte trainieren sie ihre Kiefer. Sagen Sie mir einfach, was Sie gesehen haben.«
    »Ich meine, daß sie ertrunken ist«, antwortete Caroline zögernd. »Im Teich. Ich habe nur das Gesicht gesehen…« Ihre Stimme erstarb. Sie hatte wieder das Bild von vorhin vor Augen, und schon wurde sie fast wieder hysterisch. »Sie war wohl schon tot!«
    Ehe Shays zur nächsten Frage ansetzen konnte, trat Deputy Carl Johnson aus dem Wäldchen. Seine sonst makellose Uniform war nicht mehr ganz trocken und starrte stellenweise vor Schmutz. Trotzdem marschierte er fast schon im Stechschritt über den von der Sonne ausgebleichten Rasen. Er war eine imposante Erscheinung von einem Meter neunzig. Unter der kastanienbraunen Haut spannten sich gewaltige Muskeln. Man sah ihm an, daß er seine Machtposition genoß und auf seinen gestählten Körper ungeheuer stolz war. Im Augenblick aber kämpfte er um Fassung und suchte nichts dringender als ein stilles Plätzchen, wo er sich unbeachtet übergeben konnte.
    »Doc.«
    »Carl.«
    Mehr Worte waren nicht vonnöten. Fluchend tupfte Shays sich wieder das Gesicht ab.
    »Miss Waverly. Dürfte ich bitte ihr Telefon benützen?«
    »Aber natürlich. Könne n Sie mir sagen…« Ihr Blick wanderte zum Wäldchen hinüber. In Gedanken war sie bei dem Anblick dahinter. »Ist sie tot?«
    Carl zögerte nur kurz. Er schob die Dienstmütze zurück, so

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