Sehnsucht nach dem Maerchenprinzen
seinen blauen Augen anstrahlte. Neuerdings schlich sich jedoch leichte Befangenheit in ihre bis dahin harmlose Beziehung. Charlotte sehnte sich immer mehr danach, Rohan zu küssen â ein Anzeichen dafür, dass sie erwachsen wurde.
Rohan war auch diesmal zuerst am Ufer, stürzte sich ins Wasser und schwamm mit kräftigen Zügen bis in die Mitte des Flusses, dessen gekräuselte dunkelgrüne Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte.
âWorauf wartet ihr?â, rief er und winkte ihnen zu. âKomm schon, Charlie. Du schaffst es als Zweite.â
Rohan war einfach göttlich! Schon früh umgab ihn eine besondere Aura. âRohan ist ein ganz ungewöhnlicher Jungeâ, hatte Charlottes Mutter einmal gesagt. âDer geborene Führer und ein Segen für meinen Darling Mattie.â Damals war sie noch überzeugt davon, dass ihr Sohn einen solchen Beschützer brauchte.
âEs ist nicht gut für ihn, so verhätschelt zu werdenâ, lautete der ständige Kommentar ihres Ehemanns. Nach seiner Ansicht konnte die übertriebene Fürsorge Matthew nur schaden. Barbara war das jedoch gleichgültig. Im Gegensatz zu Charlotte, die kerngesund war, litt Matthew schon früh an Asthma, das sich nach Ansicht des Arztes in der Pubertät verlieren sollte.
Charlotte kam mit fliegenden blonden Haaren angerannt. Martyn hatte ihr heimlich den Zopf gelöst, den sie gewöhnlich trug. Er neckte sie gern damit. Meist merkte sie es rechtzeitig, drehte sich um und schalt dann: âDas ist blöd von dir, Martyn!â
âOffen gefällt mir dein Haar besserâ, lautete dann seine Rechtfertigung. âEines Tages wirst du eine Schönheit sein. Das sagen Mum und Dad auch. Nicole natürlich nicht. Sie ist höllisch eifersüchtig auf dich. Aber wir beide werden heiraten. Mum ist auch überzeugt davon.â
Charlotte lieà ihn weiterträumen. Martyn heiraten â also wirklich! Er würde gerade der Richtige sein. Matthew behauptete zwar immer wieder, Martyn sei ihr heimlicher Verehrer, doch das ignorierte sie genauso wie seine Neckereien. Damals ahnte sie noch nicht, was aus einer solchen Schwärmerei werden konnte.
Rohan zog sie nie auf, lieà Martyn allerdings gewähren. Die Prescotts und Marsdons waren für ihn die âvornehmenâ Kinder. Ein Rohan Costello, der mit seiner Mutter in einem kleinen Cottage am Ortsrand wohnte, gehörte nicht dazu.
âDie beiden müssen bald umziehenâ, pflegte Barbara zu sagen. âRohan ist ja fast schon ein Mann.â
Rohan würde bald fünfzehn werden, und es war unschwer zu erkennen, dass er einmal gröÃer als ein Meter achtzig sein würde. Natürlich war er der beste Schwimmer von allen, obwohl Charlotte sich auch nicht zu verstecken brauchte. Sie war schnell im Endspurt, hielt aber nicht so lange durch.
Dass ihre Brüste sich bereits entwickelten und sich deutlich unter dem Badeanzug abzeichneten, war ihr nicht bewusst, ebenso wenig der zarte Bronzeton ihrer schlanken Glieder. Beides wurde von Rohan sehr wohl bemerkt, als Charlotte sich unbefangen ins Wasser warf und auf ihn zuschwamm, während er sie weiter anfeuerte. Sie waren fröhlich und sorglos. Ein Junge und ein Mädchen, wie Romeo und Julia. Er fast fünfzehn, sie zwölf Jahre jung.
Keiner ahnte, dass sie nach diesem Tag nie wieder im Fluss baden würden.
Martyn schmollte mit ihnen â aus Eifersucht. Matthew war dagegen so friedlich wie immer. Irgendwann rief er ihnen zu, dass er quer über den Fluss zum anderen Ufer schwimmen würde, wo Trauerweiden ihre Zweige über das Wasser neigten.
âBleib lieber hier, Mattie!â, antwortete Rohan, indem er beide Hände um den Mund legte, als wollte er ein Sprachrohr bilden.
âWarum denn? Glaubst du, ich schaffe es nicht?â Matthew machte ganz den Eindruck, als wollte er sich bei dieser Gelegenheit beweisen.
âNatürlich kannst du esâ, versicherte Charlotte, die immer bemüht war, Matthews Selbstvertrauen zu stärken. âAber tu, was Rohan sagt. Bleib bei uns!â
Matthew lieà sich überzeugen und drehte sich in ihre Richtung, bis Martyn höhnisch herüberrief: âSei doch kein Feigling, Mattie! Warum hörst du immer auf andere? Du musst nicht alles machen, was Rohan sagt. Na los ⦠mach schon! Sei kein Frosch!â
âHalt den Mund, Martyn!â, schrie Rohan wütend. Keiner kannte so
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