Sehnsucht nach dem Maerchenprinzen
einen Ton von ihm. Es war der Ton eines Erwachsenen, dessen Stimme Autorität verriet.
Martyn war sofort still, aber zu ihrer aller Bestürzung wandte sich Matthew wieder dem gegenüberliegenden Ufer zu. Er hatte dünne Arme, und seine Schwimmbewegungen wirkten ungeschickt.
âVielleicht sollten wir ihm den Willen lassenâ, meinte Charlotte unsicher. âMum verzärtelt ihn wirklich zu sehr.â
âDas kannst du laut sagenâ, triumphierte Martyn. Alle im Tal wussten, wie übervorsichtig Matthew von seiner Mutter behandelt wurde.
âIch folge ihm lieber.â Rohan brauchte Matthew nicht lange zu beobachten, um zu dem Entschluss zu kommen. âDu hättest ihn nicht verspotten sollen, Martyn. Du bist doch sein Freund, oder? Für Mattie ist das jetzt eine Mutprobe, und er denkt nicht an die Gefahr. Er ist nicht so kräftig wie du oder ich ⦠und kein guter Schwimmer.â
âEr wird es schon schaffen.â Martyn wollte seine Ãngstlichkeit nicht zeigen, aber er war inzwischen zur Besinnung gekommen. Rohan hatte recht. Er hätte Mattie nicht anspornen dürfen. Er wollte etwas zu seiner Entschuldigung sagen, aber Rohan war schon im Wasser und Charlotte kurz darauf auch.
Martyn blieb lieber zurück. Seiner Meinung nach übertrieben Rohan und Charlotte ihre Fürsorge. Mattie würde nichts passieren. Bestimmt nicht. Die Entfernung zwischen den Ufern war an dieser Stelle nicht sehr groÃ. Das Wasser war warm und ruhig. Unterströmungen gab es nicht â jedenfalls keine gefährlichen.
Allerdings war der Fluss am anderen Ufer wesentlich trüber. In seiner Innenkurve setzte sich mehr Schlamm ab, und von den Bäumen fielen Ãste und welkes Laub herunter. Für Rohan wäre das kein Problem gewesen â aber für Mattie?
Allmächtiger! Wenn nun doch etwas passierte? Wenn es einen Unfall gab? Doch da war es schon zu spät.
Eben hatte Matthew noch mit beiden Armen das Wasser durchpflügt â dann, ganz plötzlich, verschwand sein blonder Schopf unter der glitzernden Oberfläche. MaÃloses Entsetzen packte Charlotte und die beiden Freunde. Der Fluss, der sie so oft kühl umschmeichelt hatte, war für sie mit einem Mal zum heimtückischen Feind geworden.
âO nein!â, schrie Charlotte. Sie spürte instinktiv, dass etwas nicht stimmte. âHilf ihm, Rohan!â
âSei nicht albern, Charlie!â, rief Martyn, obwohl ihn selbst die Angst packte. âEr spielt sich nur auf.â
Charlotte achtete in ihrer Verzweiflung nicht auf ihn. In Krisensituationen war auf Martyn kein Verlass, aber auf Rohan konnte man zählen. Wie ein Torpedo schoss er durch das dunkelgrüne Wasser.
Charlotte schwamm weiter hinter ihm her. Beim Wettkampf hätte sie ihre Bestzeit herausgeholt. âLieber Gottâ, stöhnte sie, während ihr Tränen über das Gesicht rannen, âlass es nicht zu.â
Von Matthew war jedoch nichts zu sehen. Charlotte wusste, dass er keine Scherze mit ihnen trieb. Dazu war er viel zu umsichtig. Menschen, die er liebte, hätte er nie unnötig geängstigt. Er liebte sie, seine Schwester. Er liebte Rohan, seinen besten Freund. Sogar gegenüber Martyn, der ihn häufig hänselte, übte er Nachsicht.
âMattie! Mattie!â, schrie sie so laut, dass die Vögel am Ufer kreischend aufflogen und in einer bunten Wolke davonstoben.
Rohan war jetzt ebenfalls verschwunden. Er tauchte nach Matthew, und Charlotte folgte seinem Beispiel. Als sie zu ersticken drohte, musste sie wieder hochkommen. Sie sah etwas flussabwärts treiben und schwamm hinterher. Rohan überholte sie, fasste das Etwas ⦠Gütiger Himmel, es war Matthew. Rohan hob den leblosen Körper auf seinen starken Armen aus dem Wasser. Eine dünne Blutspur zeichnete sich an der Schläfe des Freundes ab.
âIch schleppe ihn ans Ufer und mache Wiederbelebungsversuche!â, rief Rohan ihr atemlos zu. âHol du inzwischen Hilfe.â
Doch Charlotte war klar, dass es zu spät war. Der beste Bruder der Welt war tot. So konnte das Schicksal aus heiterem Himmel zuschlagen. Nur ein Bad im Fluss, doch für Mattie hatte sich ein dunkler, endlos tiefer Abgrund aufgetan.
Von Martyn war nichts zu sehen. Wahrscheinlich war er zum Haus gerannt, um Hilfe zu holen. Warum konnte sie nicht ebenfalls sterben? Ohne Mattie würde Riverbend öde und verlassen sein und ihre Mutter wahrscheinlich
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