Sehnsucht nach Owitambe
weitgehend. Manche zeigten auch offen ihre Verachtung.
Nancy nahm seine Hand und suchte seinen Blick. Aus ihren Mundwinkeln lief ein feiner Strahl Blut.
»Ich gehe endlich zu meinen Kindern«, sagte sie schwach. Auf ihrem Gesicht erschien ein kurzes Lächeln. Fritz erwiderte den Druck ihrer Hand und meinte: »Du darfst nicht sterben! Was soll ich denn ohne dich tun?«
Nancy schüttelte leicht den Kopf. »Du bist starker Mann«, behauptete sie. »Du bleiben am Leben und gehen zurück zu Herrin. Herrin und Baby warten auf dich. Meine Kinder warten auch.« Der Druck ihrer Hand ließ nach. Fritz streichelte sanft über ihre eingefallenen Wangen. Noch einmal sah sie ihn an. »Du nicht sterben, du …«
Die Worte, die sie noch hatte sagen wollen, blieben für immer
unausgesprochen. Ihr Blick brach und verlor jeden Glanz. Sie hinterließ eine Leere, wie eine ausgeblasene Kerze Dunkelheit brachte. Starr blickten ihre Augen an ihm vorbei in ein Jenseits, das ihm verschlossen war. Fritz legte seinen Kopf auf ihre Brust und weinte hemmungslos. Er weinte um Nancy, aber er weinte auch um die anderen Toten und, wenn er ehrlich war, weinte er auch um sich. Denn eines war ihm durch Nancys Tod zur bitteren Wahrheit geworden: Auch er würde in diesem Lager sein Ende finden. Aber er würde es nicht kampflos tun.
»In ein Konzentrationslager?« Jella schnappte ungläubig nach Luft. Ihr Vater war gerade aus Okahandja zurückgekehrt und berichtete im Salon über seine Nachforschungen. Er nickte grimmig. »Ich konnte es anfangs auch nicht glauben.«
»Und was wirft man ihm vor?«
»Er soll von Nachtmahrs Sohn umgebracht haben und ein Kriegsverräter sein.«
»Aber Rajiv kann bezeugen, dass es nicht so war! Wurde er denn vor ein Gericht gestellt?«
»Nicht einmal das«, knurrte Johannes. »Dieser feine Major fand es eine elegante Lösung, ihn sich mit seiner Abschiebung vom Hals zu schaffen. Ich habe mich natürlich sofort in Windhuk über ihn beschwert.«
»Und was haben sie gesagt? Ist er schon frei?«
Jella musste erst einmal ihre Gedanken ordnen. In die Freude darüber, dass Fritz lebte, mischte sich nun Sorge und Angst. Sie hatte Schauriges über die Konzentrationslager gehört. Zwangsarbeit, Krankheit, Tod. Mein Gott, sie durfte gar nicht daran denken, was Fritz dort alles zustoßen konnte.
Ihr Vater schüttelte bedauernd den Kopf.
»Leider hat man mir nicht sehr viel Hoffnung gemacht. Für die Kolonialverwaltung ist Fritz ein Verräter. Natürlich habe
ich einen Anwalt eingeschaltet, aber auch der gab sich sehr verhalten. Das Einzige, was wir im Moment erreichen können, ist, dass er in ein ordentliches Gefängnis nach Windhuk überstellt wird und wir von da aus ein neues Verfahren beantragen.«
»So lange können wir nicht warten!« Jellas hellgrüne Augen blitzten entschlossen. »Die deutschen Mühlen mahlen viel zu langsam. Bis da etwas geschieht, ist Fritz längst tot. Wir müssen ihn da rausholen!«
»Wie stellst du dir das vor? Willst du ihn etwa aus dem Lager befreien?« Johannes versuchte seine Tochter zu beruhigen. »Du wirst sehen, alles geht schneller, als du denkst!«
»Nicht schnell genug«, entgegnete Jella heftig. »Jeder Tag, den er in diesem Lager verbringt, kann ihn umbringen. Dabei werde ich nicht untätig zusehen! Außerdem …« – bei diesem Gedanken wurde es Jella schwindlig – »… wer sagt denn, dass die Behörden überhaupt etwas unternehmen? Du hast selbst gesagt, dass die Schutztruppen mit der Niederschlagung des Namaaufstands beschäftigt sind. Da ist Fritz für sie doch nur eine Lappalie.«
In dieser Beziehung musste Johannes seiner Tochter allerdings recht geben. Er seufzte. Jella spürte, wie sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte.
»Ich will nicht, dass er stirbt«, schluchzte sie.
»Ich werde dir helfen.« Rajivs ruhiger Einwand ließ alle aufhorchen.
»Wie stellst du dir das vor?«, fragte Imelda. Rajiv zuckte mit den Schultern. »Wir werden einen Plan brauchen und ihn dann befreien.«
In Jellas tränenverschmierten Augen leuchtete ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Am nächsten Tag tauchten Nakeshi und Bô auf Owitambe auf. Nakeshi hatte einen Monat zuvor einen gesunden Jungen zur
Welt gebracht, den sie in Erinnerung an ihren Vater ebenfalls Debe genannt hatten.
»Er hat ein starkes Num«, erklärte Nakeshi stolz. Sie trug ihren schlafenden Sohn in einer Lederschlaufe eng an ihrem Körper. Die kleine Ricky, die ihre ersten Gehversuche am Rockzipfel ihrer
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