Sehnsucht nach Owitambe
Gesicht. Mit einem lauten Schrei stürzte er sich auf den Aufseher und rammte ihm seinen Kopf in den Magen. Der kleine Bursche war viel zu schmächtig, als dass er den Mann hätte umwerfen können. Aber immerhin krümmte der Aufseher sich vor Schmerz und ließ für einen Augenblick von seinem Opfer ab. Womit der kleine Namajunge nicht gerechnet hatte, war, dass die Wut des Mannes jetzt auf ihn gelenkt war. Der Aufseher packte ihn am Kragen und schleuderte ihn in hohem Bogen von sich. Kido prallte hart auf den Steinen auf und jammerte vor Schmerz. Nun war er das Ziel der grenzenlosen Wut. Ohne mit der Wimper zu zucken, hob der Menschenschinder die Pistole und erschoss den wehrlosen Jungen.
»Du gemeiner, hinterhältiger Mörder!«
Fritz rappelte sich auf. Seine Schmerzen waren für den Augenblick vergessen, da ihn eine ohnmächtige Wut über diese sinnlose Tat erfüllte. Mit all seiner gebündelten Kraft stürzte er sich auf den Aufseher. Er schlug ihm mit einem Fußtritt die Peitsche aus der Hand und versuchte vergeblich, nach der Pistole zu greifen. Der Aufseher erholte sich rasch von dem Überraschungsangriff und trat Fritz mit dem Knie ins Gesicht. Der Schmerz vernebelte kurz Fritz’ Sinne. Doch seine Wut war so groß, dass er die gebrochene Nase vergaß und sich sofort wieder auf den Mann warf. Am Rande registrierte er, dass sein Gegner versuchte, mit der Pistole auf ihn zu zielen. Im letzten Augenblick gelang es ihm, mit seiner einen Hand das Handgelenk mit der Waffe zu umfassen und den Lauf von seinem Körper wegzudrehen. Ein Schuss löste sich direkt neben seinem Ohr. Fritz bot seine ganze Kraft auf, um den Arm weiter nach hinten zu drehen. Schließlich schrie sein Gegner auf und ließ die Pistole fallen. Rasch versuchte Fritz sie an sich zu nehmen. Doch der Aufseher hatte bereits sein Messer gezogen
und stürzte sich wieder auf ihn. Mit blutunterlaufenen Augen versuchte er es Fritz in die Rippen zu stechen. Nur eine Seitwärtsrolle rettete ihm das Leben. Der Messerstich lief ins Leere. Durch die Wucht seines Anlaufs geriet der Angreifer ins Straucheln und fiel vornüber. Er schlug der Länge nach hin und blieb regungslos liegen. Fritz wartete darauf, dass er aufstand und weiterkämpfte. Aber der Mann rührte sich nicht. Unterdessen waren einige Aufseher herbeigeeilt. Sie packten Fritz und warfen ihn zu Boden. Einer von ihnen drehte den reglos daliegenden Aufseher um. Er war tot. Bei seinem Sturz war der Mann in sein eigenes Messer gefallen.
Fritz wurde zum Tode verurteilt. Er war beinahe froh darum, denn so würde sein Leiden endlich ein Ende haben. Noch eine letzte Nacht in der eiskalten Zelle, dann hatte er es überstanden. Seine Erschießung war für den nächsten Tag anberaumt. Noch vor dem Morgengrauen würde man ihn holen. Leutnant Schöndorf hatte nicht viel Federlesen gemacht und ihn ein paar Tage nach dem Vorfall des Mordes angeklagt. Fritz hatte bei der Verhandlung geschwiegen, was ihm als Geständnis ausgelegt wurde. Wozu sollte er sich rechtfertigen? Sein Vertrauen in Gerechtigkeit war restlos erschöpft. Allein die Tatsache, dass er in den Tod eines Soldaten verwickelt gewesen war, machte ihn zum Schuldigen. Außerdem bedauerte er den Tod des Aufsehers keine Sekunde, aber er weinte um Kido, der so tapfer versucht hatte, ihm das Leben zu retten. Fritz saß auf dem Boden und umfasste mit seinem Arm die Unterschenkel. Er fror erbärmlich. Das Fieber fraß sich durch seinen Körper wie ein gieriges Monster.
»Jella«, hauchte er sehnsüchtig in den lichtlosen Raum. Der Gedanke, dass er sein Kind nie sehen würde, schmerzte mehr als alle Wunden. »Ich vermisse euch so sehr«, schluchzte er. Dann lachte er ein heiseres Lachen, das aus der Tiefe seiner Verzweifung
geboren war. Er musste an den Priester denken, den sie gerade von der Missionsstation zu ihm geschickt hatten. Er hatte tatsächlich versucht, ihm vom Reich Gottes zu erzählen, das ihn gnädig aufnehmen würde, wenn er nur aufrichtig seine Tat bereute.
»Ich soll bereuen, dass der Mann tot ist?«, hatte er gefragt. Allein die Vorstellung ließ ihn lachen. »Dieser Mann hat ein unschuldiges Kind getötet und wollte dasselbe mit mir machen. Aber das interessiert ja keinen, weil die Menschen im Lager nur als Abschaum betrachtet werden. Jedes Tier ist hier mehr wert.«
Der Priester hob beschwichtigend die Arme. »Wir sind alle Kinder Gottes. Leider gibt es auch verirrte Schafe wie Sie und andere Menschen hier, aber das Reich Gottes
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