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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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immer noch dort sein. Dem Jungen gelang es in diesen Momenten, sein reales Leben völlig auszublenden. In seinen Gedanken lebte er immer noch in seinem Dorf. Eher beiläufig erfuhr Fritz, dass Kido Waise war. Seine Eltern waren vor Kurzem gestorben. Jetzt fühlte sich niemand für ihn verantwortlich. Fritz tat es leid, dass Kido im anderen Teil des Lagers lebte. Er hätte den Jungen gern auch abends um sich gehabt. Seine fröhliche Art heiterte ihn auf. Oft fragte er sich, woher er seine gute Laune nahm; schließlich hatte er alles verloren. Der Aufseher, ein junger schlesischer Gefreiter, duldete stillschweigend Fritz’ Hilfe. Vielleicht empfand er tatsächlich so etwas wie Mitleid für den Jungen. Eines Tages wurde er jedoch durch einen anderen ersetzt. Der neue Aufseher war im ganzen Lager wegen seiner Unberechenbarkeit gefürchtet. Er war leicht zu erregen
und strafte die Zwangsarbeiter oft grundlos ab. Keiner benutzte seine Nilpferdpeitsche öfter als er.
    »Was soll das?«, herrschte er Fritz an, als er wie üblich Kidos Korb befüllte. »Der Junge ist alt genug, um die Arbeit selbst zu tun.«
    Kido sprang erschrocken auf und machte sich eilig daran, die Steine selbst in den Korb zu legen. Doch Fritz legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
    »Wenn ich dem Jungen helfe, schafft er seine Arbeit viel besser«, argumentierte er ruhig.
    »Du hast hier gar nichts zu sagen, du Kaffernfreund«, schrie der Aufseher. Die Adern an seinem Hals quollen dabei wie Gummischläuche hervor. »Wenn ich dich und den Jungen noch einmal erwische, dann setzt es eine Tracht Prügel.« Drohend winkte er mit seiner zusammengerollten Peitsche. »An die Arbeit, aber zackig!«
    Fritz und Kido sahen sich kurz an und taten, was man ihnen befohlen hatte. Nach einigen Stunden waren die Kräfte des Jungen erschöpft. Seine Schritte wurden immer langsamer, bis er schließlich unter seiner Last zusammenbrach.
    »Kido!«
    Fritz warf seinen Hammer beiseite und eilte zu dem Jungen. Kido versuchte sich aufzurappeln, aber er schaffte es nicht allein.
    »Setz dich und ruh dich ein wenig aus«, meinte Fritz. »Ich werde so lange deinen Korb befüllen.«
    »Tu das nicht!« Kido sah sich ängstlich nach dem Aufseher um. »Mann böse, wird schlagen.«
    Fritz lächelte ihm aufmunternd zu. »Da mach dir mal keine Sorgen. Er wird uns schon nicht sehen.« In aller Ruhe befüllte er seinen Korb.
    Doch der Aufseher schien den ganzen Tag nur auf so eine Gelegenheit gewartet zu haben. Unvermittelt stand er plötzlich
neben ihnen und stieß mit einem Stiefeltritt den fast gefüllten Korb um.
    »Ihr elendes Pack«, rief er außer sich. »Ihr verkauft mich wohl für dumm!«
    Außer sich vor Zorn rollte er seine Peitsche aus und schlug damit auf Kido ein. Der Riemen traf den Jungen quer über das Gesicht. Vor Schmerz heulte er jämmerlich auf und betastete seine Augenbraue, die von dem Schlag aufgeplatzt war. Der Aufseher war noch nicht fertig mit ihm. Er kannte keine Grenzen. Erneut hob er den Arm, um noch einmal zuzuschlagen. Fritz hatte genug. Mit einem Satz sprang er auf den Mann zu und entwand ihm seine Waffe.
    »Du wirst nicht noch einmal ein wehrloses Kind schlagen«, rief er empört, »sonst bekommst du es mit mir zu tun.«
    Der Aufseher war außer sich. Ungläubig starrte er auf Fritz und seine Peitsche.
    »Gib mir die Peitsche zurück.« Seine Augen funkelten gefährlich, und er zog seine Pistole. Fritz tat, wie ihm geheißen, und warf ihm die Peitsche zu. Der Aufseher fing sie geschickt auf. Ein gemeines Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
    »Und jetzt werde ich es euch besorgen.« Um seinen Drohungen Nachdruck zu verleihen, entsicherte er die Waffe und zielte damit auf Fritz Kopf. Kidos Augen weiteten sich vor Entsetzen, während sich in seinem Kopf ein ganzer Film an schrecklichen Erinnerungen abspulte. Sein Blick wurde leer, und sein Kopf füllte sich mit schrecklichen Bildern, die er die ganze Zeit versucht hatte zu verdrängen: die Vergewaltigung seiner Mutter, die Schreie seiner kleinen Geschwister aus der brennenden Hütte, der tote Vater … und jetzt sein einziger Freund. Schemenhaft bekam er mit, wie der Aufseher die Peitsche führte und damit auf Fritz eindrosch. Dem ersten Schlag konnte sein Freund gerade noch ausweichen, aber der zweite und dritte Hieb trafen ihn auf der Brust und am Hals. Beim vierten
Schlag brach er zusammen. Kidos Augen waren immer noch weit aufgerissen, aber plötzlich trat Entschlossenheit auf sein

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