Sehnsucht nach Owitambe
Gefühl, dass es ihm helfen würde. Das Getränk rann wohltuend durch seine Kehle und wärmte seinen Magen. Er nahm gleich noch einen Schluck. Zum Teufel mit dem schlechten Gewissen. Langsam begann er sich besser zu fühlen. Als er schließlich sein Zelt verließ, war die Flasche fast leer.
»Komm hier entlang!« Mukesh führte Ricky durch das Labyrinth des Banyanbaums hindurch. Dahinter befand sich dichter Urwald.
»Wir müssen den Hang hinaufklettern. Ich helfe dir.«
»Willst du mir nicht sagen, was wir dort oben wollen?«, fragte Ricky, die keine Lust hatte, ihr helles Sommerkleid schmutzig zu machen. Statt einer Antwort reichte Mukesh ihr seine Hand. Sie fühlte sich warm und fest an. Bereitwillig folgte sie ihm nun auf einen überwachsenen Pfad. Der Weg war breiter, als sie gedacht hatte. Eukalyptusbäume, Dattelpalmen und Palisander
bildeten ein dichtes Grün. Der Duft von Mangobäumen stieg ihr in die Nase. Ein paar Affen turnten über ihnen im Geäst und beschimpften die Eindringlinge.
»Das sind Hanumans Affen«, erklärte Mukesh lachend. »Sie passen auf, dass niemand diesen Ort entweiht.«
Ricky sah ihn fragend an.
»Die Affen sind uns Hindus heilig«, erklärte ihr Begleiter bereitwillig. »Sie sind sehr mutig, wie Hanuman der Affengott. Sieh nur!« Er nahm einen Stein und warf ihn mitten in die Horde. Das Gebrüll wurde nun noch aufgeregter, und plötzlich zischte ein Wurfgeschoss haarscharf an Mukeshs Kopf vorbei. Ricky schrie erschrocken auf. Doch Mukesh lachte nur.
»Keine Angst, das sind nur Drohgebärden! Sie sind schon wieder verschwunden. Komm jetzt. Wir sind gleich da.«
Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, war es im Dschungel bereits dunkel und geheimnisvoll. Unbekannte Vögel kreischten aus dem Dickicht, und das Knacken von Ästen verriet die Anwesenheit anderer Tiere ganz in ihrer Nähe. Ricky fühlte ein aufregendes Prickeln, als sie endlich den Hügelrücken erklommen hatten und wieder im Licht der untergehenden Sonne standen. Die ganze Landschaft war in ein kräftiges Orange getaucht und schaffte eine unwirkliche Realität. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt stand eine zerfallene Ruine, die einmal ein Wachturm gewesen war. Mukesh schob mit einem Ast die Dornen vor dem Eingang weg und führte Ricky hinein. Im Turm war es eng, düster und roch modrig, aber eine schmale Steintreppe führte an den Wänden entlang nach oben auf die Aussichtsplattform. Erneut ergriff Mukesh Rickys Hand und machte sich an den Aufstieg. Der Turm war höher, als sie gedacht hatte. Seine Decke war zum Teil eingestürzt, sodass sie ein Stück Himmel durch die bemoosten Steine sehen konnte. Ricky war nicht besonders mutig. Dummerweise warf sie einen Blick nach unten, und ihr wurde sofort schwindlig.
Angsterfüllt blieb sie stehen und lehnte sich an die kühle Wand. Mukesh drückte beruhigend ihre Hand.
»Ich halte dich«, versprach er und zog sie sanft, aber energisch weiter. Ihre Hände waren schweißnass und ihr Herz klopfte bis in den Hals, aber sie folgte ihm. Dann hatten sie es endlich geschafft, und alle Ängstlichkeit war wie weggeblasen. Der Ausblick, der sich ihnen nun bot, war einfach atemberaubend. So weit das Auge reichte, dehnte sich unter ihnen der Urwald aus. Er war gar nicht so dicht, wie Ricky vermutet hätte. Neben undurchdringlichen Zonen gab es lichte Wälder und sogar freie Lichtungen, groß wie zehn Kricketfelder. Ein schmaler Fluss schlängelte sich durch das riesige Gebiet. Links von ihnen zog sich eine blaugrüne, schroffe Hügelkette hin, die in die Ebene vor ihnen abfiel. Die Sonne lag wie ein roter, dunstiger Ball auf dem Horizont. Ihr abendliches Licht ließ den Fluss silbrig funkeln, als wäre jede kleine Welle ein Spiegel, der das Licht zurückwarf. Ein Nachtvogel schrie seinen schrillen Ruf, und irgendwo in der Dunkelheit des Urwalds war das mächtige Brüllen eines Tigers zu vernehmen.
»Wie schön das ist!«, rief Ricky begeistert aus. Gebannt betrachtete sie, wie sich die Sonne verabschiedete und einen dunklen Schleier über die Landschaft warf. Zuerst gingen die Lichter des Flusses aus, die Reflexionen des Sonnenlichts, dann verschwanden nach und nach die Bäume, bis nur noch der Himmel blau und türkis die Überreste des Tages verriet. Schrilles Schreien und das Schwingen großer Flügel rissen Ricky aus ihrer romantischen Stimmung. Aberhunderte von riesigen Flugtieren erhoben sich von dem großen Baum direkt neben ihnen in die Lüfte. Ricky fühlte die
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